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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge
Autoren: Petra Hammesfahr
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Dokumentenmappe und die Worte über einen Laptop mit unersetzlichen Daten im Kofferraum. Doch was Nadia über ihren Mann gesagt hatte, machte sie betroffen. Sie hätte bei dem netten Urlaubsgesicht nie mit einem Treubruch gerechnet. «Aber er wollte sie nicht heiraten und ein Kind mit ihr?», fragte sie mit erzwungener Heiterkeit.
    Nadia lachte kurz und überhaupt nicht fröhlich. «Ich weiß nicht. Wenn er das wollte, habe ich ihm das ausreden können. Seitdem tun wir so, als ob er nur mich liebt und ich zu beschäftigt wäre, um mich abends zu langweilen.»
    «Du meinst, er betrügt dich immer noch?»
    Nadia lachte erneut, diesmal spöttisch. «Was denn? Plötzlich doch interessiert?» Sie schürzte die Lippen. «Aber das Thema lohnt nicht. Ich habe es mir abgewöhnt, mich darüber aufzuregen. Er ist nicht der einzige attraktive Mann.»
    «Du betrügst ihn ebenfalls?»
    Nadia zuckte nur viel sagend mit den Achseln. «Du, ich habe heute wirklich nicht viel Zeit. Wir reden ein andermal, ja? Kommst du allein zurecht mit dem Koffer?»
    Sie nickte, in Gedanken noch beim gegenseitigen Ehebruch und der Frage, warum Nadia sich nicht von ihrem untreuen Mann trennte, wenn sie einen Ersatz für ihn gefunden hatte. Nadia verstaute die Kleidungsstücke wieder im Koffer, brachte auch die beiden Paar Schuhe darin unter und stellte ihn ihr vor die Füße. Sie bedankte sich noch einmal.
    «Nicht der Rede wert», sagte Nadia. «Jetzt brauchst du nur noch eine schicke Frisur. Wie gefällt dir meine?»
    «Gut.»
    «Fein», sagte Nadia, warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr. «Du, ich muss los. Tschüs dann.»
    Sekunden später war der Porsche verschwunden.
    Für den Sonntag stand wieder ein Besuch im Seniorenwohnheim auf dem Programm. Noch während sie den Koffer durch die Stadt trug, überlegte Susanne, was sie anziehen könnte. Dann kam die Anprobe – und das Herzstocken, als sie in einer Blazertasche das dünne Papier zwischen den Fingern fühlte. Ein Zweihunderteuroschein. Mit einer Büroklammer war ein Zettel befestigt, darauf stand die handschriftliche Notiz: «Für den Friseur.» Und sie hatte gedacht, es sei nur ein leichtfertig gemachter Vorschlag gewesen.
    Sie hätte am nächsten Vormittag bestimmt noch einen Friseur gefunden, der auch Laufkundschaft bediente. Aber wozu mehr Geld ausgeben als unbedingt nötig? Sie kaufte im Supermarkt eine scharfe Schere und eine braune Haartönung. Dann schnitt sie vor dem Spiegel in ihrem winzigen Bad zuerst das Gröbste weg und schaffte mit tief gebeugtem Kopf eine einigermaßen gerade Kante im Nacken. Anschließend trug sie die Tönung auf.
    Sonntags um zwei stand sie mit leicht fransigen, aber dunkelbraunen Haaren am Straßenrand, wartete gespannt auf Johannes Herzog, seinen erstaunten Blick und eine Bemerkung wie: «Schick sehen Sie aus.» Sie sah sehr schick aus in der weißen Bluse und einem engen, dunkelblauen Rock. An den Füßen ein Paar Pumps mit halbhohem Absatz, über dem linken Arm locker den Blazer, dessen Tascheninhalt sie so unvermittelt beschämt hatte.
    Um halb drei stand sie immer noch am Straßenrand. Über ihr hing Heller im Fenster, erging sich in Vermutungen, warum der Milchbubi sie versetzte, und erbot sich mit obszönen Vorschlägen, ihr die Wartezeit, notfalls den ganzen Nachmittag, in einer Weise zu vertreiben, bei der ihr Hören und Sehenverginge. Sie ignorierte ihn und fragte sich halb ärgerlich, halb besorgt, wo Johannes bleiben mochte, ob ihm etwas zugestoßen sei. Bei seiner Raserei war das nicht auszuschließen.
    Nach weiteren zehn Minuten wurden ihr Hellers Beleidigungen zu viel. Auf den Besuch bei ihrer Mutter wollte sie nicht verzichten. Und mit Nadias Geld gab es Möglichkeiten. Sie ging zum Bahnhof, nahm die S-Bahn und für das letzte Stück den Bus. Von der Bushaltestelle waren es nur noch siebenhundert Meter bis zum Seniorenwohnheim.
    Agnes Runge freute sich, meinte aber, sie wäre besser nicht gekommen, weil im Heim eine Grippe umginge. Die Hälfte der Senioren war krank, einige lagen sogar im Krankenhaus. Johannes Herzogs Großmutter hatte ihrem Enkel aus dem Grund abgesagt. Natürlich war Johannes nicht auf den Gedanken gekommen, kurz bei Susanne vorbeizuschauen und Bescheid zu sagen. Aber das konnte man von einem jungen Mann wohl nicht erwarten. Und da sie stets behauptete, sie hätte kein Telefon, um ihren Feierabend und die Wochenenden ungestört genießen zu können, hatte auch ihre Mutter sie nicht informieren können. Agnes Runge
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