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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge
Autoren: Petra Hammesfahr
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war leicht zu belügen, wollte glauben, dass es ihr gut ging.
    Auf dem Rückweg zur Bushaltestelle geriet Susanne in einen heftigen Regenschauer und wurde durchnässt bis auf die Haut. Montags fühlte sie sich schlapp und verbrachte den Tag überwiegend im Bett in der Hoffnung, damit allem Übel vorzubeugen. Dienstags hustete sie trotzdem. Es klang noch nicht Besorgnis erregend, verursachte nur Kopfschmerzen, wie jede körperliche Anstrengung es seit dem Schädelbruch tat.
    Mittwochs hustete sie stärker, holte sich einen Bronchialtee aus der Drogerie, trank zwei Tassen und ging mit einem Schweißausbruch wieder ins Bett. Donnerstags stand sie gar nicht auf. Die karge Ernährung der letzten Monate forderte ihren Tribut. Mal schwitzte sie, dass ihr das Laken am Körperklebte, mal verkrampften sich sämtliche Muskeln unter Kälteschauern. Jeder Atemzug fiel schwer und hatte einen Hustenanfall zur Folge, bei dem ihr Kopf zu platzen drohte. Abends fiel ihr ein, dass sie ihren Briefkasten nicht kontrolliert hatte. Doch es war zu mühsam, sich die Treppen hinunterzuschleppen.
    Kurz nach zwei in der Nacht schreckte sie aus einem Albtraum hoch, in dem ihre Mutter, gestützt von Johannes Herzog, am offenen Grab stand und sich die Sprüche auf den wenigen Trauergebinden vorlesen ließ. Als der Sarg hinuntergelassen wurde, fragte ihre Mutter weinend: «Warum hat sie denn nie was gesagt?» Es dauerte eine Weile, ehe sie begriff, dass sie nicht im Sarg, sondern in ihrem Bett lag.
    Sie hatte hohes Fieber, kam mit Mühe auf die Beine, taumelte ins Bad, tränkte zwei Handtücher in kaltem Wasser und wickelte sie sich um die Waden. Ein drittes nasses Tuch legte sie sich über den Kopf. Und weil der Steinboden so schön kühl war, zog sie es vor, den Rest der Nacht zwischen Duschkabine und Toilette zu verbringen. Am frühen Morgen zwang sie sich in die Küche, brühte noch einen Tee auf, trank ihn in kleinen Schlucken und hustete sich dabei fast die Lungen aus dem Leib.
    Es war noch still im Haus, erst kurz nach fünf. Heller schlief vermutlich seinen gestrigen Rausch aus. Jedenfalls bestand um diese Tageszeit kaum die Gefahr, dass er ihren Weg kreuzte und ihren elenden Zustand ausnutzte für was auch immer. Im Grunde hätte ihr der Briefkasten egal sein können. Aber etwas wie eine Ahnung trieb sie nach unten. Und tatsächlich lag eines der vertrauten Kuverts im Kasten.
    Der gestochen scharfe Druck verschwamm ihr vor den Augen, als sie die Couch erreichte und den Briefbogen auseinander faltete. «Liebe Susanne», schrieb Nadia, drückte ihre Hoffnung aus, dass sie mit dem Geld aus der Blazertasche keineExperimente gemacht habe, erinnerte an den ersten Brief und den Wunsch, etwas für sie zu tun. Danach kam ein Satz, der sie elektrisierte. «Vielleicht habe ich einen Job für dich. Es ist zwar nur eine Vertretung, aber wir sollten darüber reden.» Als Treffpunkt schlug Nadia das Parkhaus vor, in dem sie ihr den Koffer überreicht hatte. Darunter standen Ort und Zeit. Freitag, siebzehn Uhr.
     
    Es war Freitag. Aber es war verrückt, auch nur daran zu denken, sich auf den Weg in die Innenstadt machen zu wollen. Auf der Treppe war sie über die eigenen Füße gestolpert, hatte den Sturz gerade noch an der Wand abfangen können. Als sie von der Couch in die Küche wollte, um sich noch einen Bronchialtee aufzubrühen, gerieten Fußboden und Wände in Bewegung, sodass sie sich gezwungenermaßen zurücksinken ließ.
    Erst weit nach Mittag kam sie wieder schwankend in die Höhe und prallte so heftig gegen den niedrigen Tisch, dass er verrutschte. Eines der Tischbeine knickte zur Seite. Etwas fiel zu Boden, ein dünnes, längliches Ding mit einem dicken Ende. Mit dem vom Fieber getrübten Blick hielt sie es für eine Schraube. Sie hatte den Tisch nach dem Kauf selbst zusammengebaut und kein geeignetes Werkzeug gehabt, sich mit einem Messer vom Essbesteck behelfen müssen. Der Tisch war immer ein bisschen wacklig gewesen. Sie kümmerte sich nicht darum und schleppte sich unter die Dusche.
    Das kühle Wasser wusch die Farbe aus den Haaren, machte jedoch den Kopf klar genug, um an ein Taxi zu denken. Bis zur Telefonzelle könne sie es schaffen, meinte sie. Es gab eine in der Nähe, nur fünfzig Meter die Kettlerstraße entlang und einmal um die Ecke. Kurz nach vier stand sie auf wackligen Beinen vor dem Kleiderschrank, wählte eine von Nadias Hosen, eine von Nadias Blusen, das zweite Paar Schuhe und den zweiten Blazer.
    Auf der Treppe kam der
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