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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge
Autoren: Petra Hammesfahr
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Lippen und fasste sich an die linke Brust. Sie dachte nicht eine Sekunde lang an den Umschlag in seiner Jackentasche, nur an ihren Vater und seinen plötzlichen Tod. Ungeachtet der Pistole, die sie für ebenso harmlos hielt wie die erste, stellte sie sich vor Herrn Schrag und schob ihn rückwärts zum Ausgang. Der Maskierte fuchtelte wild mit seiner Waffe. Der Filialleiter rief entsetzt: «Um Gottes willen, Frau Lasko, machen Sie keine Dummheiten!»
    Sie rief zurück: «Keine Sorge. Das Ding ist nicht echt. Damit kenne ich mich aus.»
    Der Filialleiter glaubte ihr und schlug dem Maskierten auf den ausgestreckten Arm. Danach ging alles rasend schnell. Sie hörte einen Knall, sah auf dem weißen Hemd des Filialleiters einen roten Fleck, der rasch größer wurde, hörte die Kassiererin durchdringend schreien, sah die ungläubige Miene des Filialleiters und wie er sich an die verletzte Schulter fasste. Und die Mündung zeigte inzwischen auf sie. Herr Schrag blieb unverletzt, weil sie auf ihn fiel, als der Maskierte   …
    «Erzähl mir nicht, er hat auf dich geschossen», unterbrach Nadia sie atemlos und entsetzt.
    «Nein.» Versucht hatte er es, aber die Pistole hatte nach dem ersten Schuss offenbar eine Ladehemmung. Der Maskierte versetzte ihr mit der Hand einen Hieb, der sie von den Beinen holte. Dann schleifte er sie mit, stieß sie in ein Auto,fuhr mit ihr zu einer Fabrikruine, drückte dort noch zweimal erfolglos ab, drosch dann aus Wut mit dem Pistolengriff auf sie ein und zischte: «Wenn du dich rührst, knall ich dich ab.»
    Natürlich rührte sie sich, nachdem er weg war. Geraume Zeit – es waren volle zwei Tage gewesen – kroch sie orientierungslos, mit einer Schädelfraktur, gequält von rasenden Kopfschmerzen zwischen Trümmern und Gerümpel umher, ohne den Weg ins Freie zu finden. Irgendwann beugte sich jemand über sie. Sie dachte, der Maskierte sei zurückgekommen. Aber es war nur ein Penner, der die Nacht in der Ruine verbringen wollte und zufällig über sie stolperte. Seitdem war sie nicht mehr fähig, ihren erlernten Beruf auszuüben, wurde allein beim Gedanken, eine Bank betreten zu müssen, nervös.
    Wie es weitergegangen war, erzählte sie nur ungern. Es war nicht sehr schmeichelhaft für sie. Die Stelle bei der Versicherung, wo sie wegen ihrer mangelnden ED V-Kenntnisse kläglich gescheitert war, übersprang sie. Es war auch nur eine sehr kurze Zeit gewesen, drei Wochen. Sie kam gleich auf ihre knapp zweijährige Tätigkeit für Herrn Schrag zu sprechen.
    Der alte Mann fühlte sich ihr verpflichtet, und bei genauerer Betrachtung florierte sein Unternehmen. Bisher hatte seine Frau sich um die Büroarbeit gekümmert, nun war die erkrankt, und er brauchte einen vertrauenswürdigen Ersatz, der nur mit einer Schreibmaschine zurechtkommen musste. Einen Arbeitsvertrag bot er ihr nicht, Handschlag genügte. Auf dieser Basis beschäftigte Herr Schrag noch fünf Leute, nur zwei Elektriker waren fest angestellt.
    Sie bekam zweitausend Mark – netto und bar auf die Hand. Nach der Währungsumstellung wurde das exakt in Euro umgerechnet. Davon konnte sie leben, ohne Krankenversicherung, die hätte die Hälfte ihres Einkommens verschlungen. Aber abgesehen von Kopfschmerzen bei körperlicher Anstrengungfühlte sie sich auch rundum gesund, legte lieber etwas für später auf die Seite.
    Mit Blick auf die maroden Staatsfinanzen hielt Herr Schrag es für sinnvoller, wenn jeder Mensch persönlich Vorsorge fürs Alter traf. Privatkunden – das waren die meisten – konnten bar zahlen und bekamen dafür einen Nachlass in Höhe der Mehrwertsteuer. Von diesen Bareinnahmen wurden Susanne und die fünf anderen freiberuflich Tätigen entlohnt. Der Rest wanderte in einen der Umschläge, für den sie ihren Kopf hingehalten hatte.
    Seine Rücklagen fürs Alter ließ Herr Schrag per Boten ins Ausland schaffen. Und er vertraute ihr vollkommen, bis im Januar dieses Jahres der Bote aufgetaucht war. Röhrler hieß er. Wie oft Röhrler schon an einem Donnerstagabend in der Firma Schrag erschienen war, um einen Umschlag abzuholen, wusste sie nicht. In der Januarwoche kam er erst freitags um die Mittagszeit, weil er eine Wagenpanne gehabt hatte.
    Er sah sie und stutzte. «Was machen Sie denn hier?», erkundigte er sich verblüfft, begann zu grinsen. «Das nenne ich einen Abstieg. Aber so ist das, wenn man in die Kasse greift und sich erwischen lässt. Danach geht’s bergab.»
    Dass Röhrler sie verwechselte, der Gedanke hätte
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