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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge
Autoren: Daniel Silva
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– er solle den Sichtschutz aus Abdeckplanen entfernen –, den Gabriel ihr wider Erwarten erfüllte.
    Er arbeitete jeden Tag lange, länger als unter normalen Umständen, aber er war entschlossen, die Restaurierung so rasch wie möglich abzuschließen. Tiepolo kam einmal täglich vorbei, um ihnen etwas zu essen zu bringen und sich von Gabriels Fortschritten zu überzeugen. An manchen Tagen blieb er ein paar Minuten, um Chiara Gesellschaft zu leisten. Einmal hievte er seinen massigen Körper sogar schwerfällig auf das Gerüst, um sich mit Gabriel wegen eines schwierigen Abschnitts in der Altarnische zu beraten.
    Gabriel arbeitete mit neuem Selbstvertrauen. Er hatte so viel Zeit damit verbracht, Bellini und seine Malweise zu studieren, daß er an manchen Tagen fast das Gefühl hatte, der Meister stehe neben ihm und sage ihm, was er als nächstes tun solle. Er arbeitete von innen nach außen – die Madonna mit dem Jesuskind, die Heiligen und die Stifter, der komplizierte Hintergrund. Mit dem Fall beschäftigte er sich auf ganz ähnliche Weise. Während er arbeitete, beschäftigten ihn zwei Fragen, die ihm unaufhörlich durch den Kopf gingen: Wer hatte Benjamin Stern die Dokumente über das Geheimtreffen am Gardasee ursprünglich gegeben? Und weshalb?
    Eines Nachmittags Ende Juni hob Chiara den Kopf und sah ihn am Rand der Gerüstplattform stehen – die Rechte am Kinn, die Linke als Stütze unter dem rechten Ellbogen, den Kopf leicht nach vorn geneigt. So stand er lange unbeweglich da, nach Chiaras Uhr über zehn Minuten, während sein Blick über das riesige Altarbild wanderte. Chiara ergriff eine Gerüststange und rüttelte daran, wie Tiepolo es immer tat. Gabriel sah zu ihr hinunter und lächelte.
    »Ist es fertig, Signor Delvecchio?«
    »Beinahe«, sagte er geistesabwesend. »Ich muß nur noch einmal mit ihm reden.«
    »Was soll das um Himmels willen heißen?«
    Gabriel gab jedoch keine Antwort. Statt dessen kniete er nieder und verbrachte die nächsten Minuten damit, Pinsel und Palette zu reinigen und Pigmente und Dispersionsfarben in einem flachen Blechkasten zu verstauen. Dann stieg er vom Gerüst, nahm Chiara an der Hand und verließ zum letztenmal zusammen mit ihr die Kirche. Auf dem Heimweg suchten sie Tiepolo in seinem Büro in San Marco auf. Gabriel erklärte ihm, er müsse den Heiligen Vater sprechen. Als sie zu Hause in Cannaregio ankamen, fanden sie auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht vor:
    Bronzeportal, morgen abend, acht Uhr. Seien Sie pünktlich.

38
    V ATIKANSTADT
    Gabriel überquerte den Petersplatz bei einsetzender Abenddämmerung. Monsignore Donati erwartete ihn am Bronzeportal. Er schüttelte Gabriel mit ernster Miene die Hand und machte eine Bemerkung darüber, wieviel besser er im Vergleich zu ihrer letzten Begegnung aussehe. »Der Heilige Vater erwartet Sie«, sagte Monsignore Donati. »Wir wollen ihn lieber nicht warten lassen.«
    Der Geistliche führte Gabriel die Scala Regia hinauf. Ein fünfminütiger Gang durch ein Labyrinth aus hallenden Korridoren und düsteren Innenhöfen brachte sie in die vatikanischen Gärten. Im gedämpften rotbraunen Abendlicht war der Papst leicht zu erkennen. Er spazierte auf einem Fußweg in der Nähe des Äthiopischen Kollegs entlang, und seine weiße Soutane leuchtete wie Schnee.
    Monsignore Donati ließ Gabriel an der Seite des Papstes zurück und entfernte sich langsam in Richtung Vatikanpalast. Paul VII. nahm Gabriels Arm und führte ihn auf dem Fußweg weiter. Die Abendluft war lau und mit Pinienduft geschwängert.
    »Ich freue mich, Sie wieder so gesund zu sehen«, sagte der Papst. »Sie haben sich bemerkenswert gut erholt.«
    »Nach Schamrons Überzeugung haben Eure Gebete mich aus dem Koma geholt. Er hat sich vorgenommen, dieses Wunder in der Gemelli-Klinik bei Eurer Seligsprechung zu bezeugen.«
    »Ich weiß nicht, ob es in der Kirche viele geben wird, die mich seligsprechen wollen, nachdem die Kommission ihre Arbeit getan haben wird.« Er lachte in sich hinein und drückte Gabriels Oberarm. »Sind Sie mit der Restaurierung von Bellinis Altarbild zufrieden?«
    »Ja, Euer Heiligkeit. Danke, daß Ihr zu meinen Gunsten interveniert habt.«
    »Das war die einzig gerechte Lösung. Sie hatten die Restaurierung begonnen. Da war es nur angemessen, sie von Ihnen beenden zu lassen. Außerdem gehört dieses Altarbild zu meinen Lieblingsgemälden. Es brauchte die Hände des großen Mario Delvecchio.«
    Paul VII. dirigierte Gabriel auf einen schmalen
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