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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge
Autoren: Daniel Silva
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geben, den Gesichtsausdruck des Patriarchen zu sehen, wenn er erfahren würde, daß sein kostbares Altarbild von einem jüdischen Jungen aus dem Jesreel-Tal restauriert wird.«
    Er blieb stehen und hustete heftig in sein Taschentuch. Als er mehrmals tief Luft holte, um wieder zu Atem zu kommen, konnte Gabriel ein Rasseln in seiner Brust hören. Der Alte mußte aus der Kälte heraus, aber er war zu stur, um seine Schwächung einzugestehen. Gabriel beschloß, ihm die Mühe abzunehmen.
    »Können wir uns nicht irgendwo hinsetzen? Ich habe seit acht Uhr morgens auf meinem Gerüst gestanden.«
    Schamron rang sich ein schwaches Lächeln ab. Er merkte, daß er getäuscht wurde. Er führte Gabriel zu der Bäckerei am Rand des Platzes. Sie war leer bis auf eine große junge Frau hinter der Theke. Ohne eine Bestellung abzuwarten, servierte sie ihnen Espresso, kleine Flaschen Mineralwasser und einen Teller Lebkuchen mit Zimt und Nüssen. Als sie sich über den Tisch beugte, fielen ihre dunklen Haare über die Schulter nach vorn. Ihre langen Hände dufteten nach Vanille. Dann schlüpfte sie in einen bronzefarbenen Mantel, ging auf den Campo hinaus und ließ Gabriel und Schamron allein im Laden zurück.
    »Also, ich höre«, sagte Gabriel.
    »Das ist ein Fortschritt. Sonst fängst du immer damit an, daß du mich anbrüllst, ich hätte dein Leben ruiniert .«
    »Dazu kommen wir irgendwann bestimmt noch.«
    »Du solltest dich mit meiner Tochter über mich austauschen.«
    »Das habe ich bereits getan. Wie geht's ihr?«
    »Sie lebt weiter in Neuseeland – auf einer Geflügelfarm, so unglaublich das klingt – und weigert sich noch immer, am Telefon mit mir zu sprechen.« Er brauchte lange, um sich die nächste Zigarette anzuzünden. »Sie nimmt mir mein Verhalten schrecklich übel. Ich sei nie für sie dagewesen. Aber sie versteht nicht, daß ich beschäftigt war. Ich mußte ein ganzes Volk beschützen.«
    »Das wird nicht ewig bestehen.«
    »Ich auch nicht, falls du das nicht gemerkt haben solltest.« Schamron biß ein Stück Lebkuchen ab und kaute langsam. »Wie geht's Anna?«
    »Gut, nehme ich an. Ich habe seit fast acht Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen.«
    Schamron senkte das Kinn und musterte Gabriel über seine Brille hinweg mißbilligend. »Erzähl mir bitte nicht, daß du dieser armen Frau das Herz gebrochen hast.«
    Gabriel rührte Zucker in seinen Espresso und wich Schamrons forschendem Blick aus. Anna Rolfe … Sie war eine weltberühmte Geigerin und die Tochter des reichen Schweizer Bankiers Augustus Rolfe. Vor einem Jahr hatte Gabriel ihr geholfen, die Männer aufzuspüren, die ihren Vater ermordet hatten. Dabei hatte er sie auch mit unangenehmen Wahrheiten über die Vergangenheit ihres Vaters und die Herkunft seiner bemerkenswerten Sammlung von Meisterwerken des Impressionismus und der Moderne konfrontieren müssen. Und er hatte sich in die temperamentvolle Virtuosin verliebt. Nach dem Unternehmen lebte er ein halbes Jahr lang in ihrer einsamen Villa an der portugiesischen Küste vor Sintra. Ihre Beziehung kühlte ab, als Gabriel Anna eines Tages gestand, bei jedem ihrer gemeinsamen Spaziergänge durchs Dorf begleite ihn der Schatten seiner Frau Leah – und manchmal stehe sie auch nachts im Schlafzimmer, wenn sie sich liebten: eine stille Zeugin ihrer Befriedigung. Als Francesco Tiepolo ihm dann die Restaurierung des Altarbilds in San Zaccaria anbot, sagte Gabriel sofort zu. Anna Rolfe stellte sich ihm nicht in den Weg.
    »Ich habe sie sehr gern, aber auf Dauer konnte es mit uns nicht gutgehen.«
    »Hat sie dich mal hier in Venedig besucht?«
    »Anna ist bei einem Wohltätigkeitskonzert in der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari aufgetreten. Danach ist sie zwei Tage bei mir geblieben. Das hat alles nur noch schlimmer gemacht, fürchte ich.«
    Wie immer bei solchen Gelegenheiten fragte Schamron auch, ob er Leah besucht habe. Gabriel hörte sich sagen, er sei in der abgelegenen Nervenklinik in Südengland gewesen, bevor er nach Venedig gereist sei, er habe einen Nachmittag mit ihr verbracht und sie im Rollstuhl durch den Park geschoben, sie hätten sogar unter dem kahlen Geäst eines Ahorns ein Picknick gemacht. Aber während er davon erzählte, war er in Gedanken woanders: in einer Gasse unweit des Judenplatzes in Wien, bei der Autobombe, die seinen Sohn getötet hatte, bei dem Inferno, das Leahs Körper zerstört und ihr das Gedächtnis geraubt hatte.
    »All das liegt nun zwölf Jahre zurück, und sie erkennt
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