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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge
Autoren: Daniel Silva
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Nasser halfen, Raketen zu bauen. Und an einem warmen Abend des Jahres 1960 sprang Ari Schamron in einer Kleinstadt nördlich von Buenos Aires vom Rücksitz eines Wagens und packte Adolf Eichmann an der Kehle, als dieser auf den Bus wartete, der ihn nach Hause bringen sollte.
    Gabriel war der einzige Mensch, der eine weitere wichtige Tatsache aus jener Nacht in Argentinien kannte: Adolf Eichmann wäre beinahe entkommen, weil Schamron über einen losen Schnürsenkel gestolpert war. Diese Eigenschaft, stets am Rand des Abgrunds zu balancieren, war auch für seine häufigen Aufenthalte im Chefbüro am King Saul Boulevard charakteristisch. Ministerpräsidenten wußten nie recht, was sie erwarten sollte, wenn Schamron vor ihrer Tür erschien – eine Mitteilung über einen weiteren erstaunlichen Erfolg oder das geheime Eingeständnis eines weiteren demütigenden Fehlschlags. Operativ war seine hohe Risikobereitschaft ebenso vorteilhaft, wie sie politisch nachteilig war. Gabriel wußte längst nicht mehr, wie oft der Alte schon in die Verbannung geschickt worden war, nur um dann mit großem Trara ins Amt zurückgeholt zu werden.
    Zuletzt hatte Schamron den Chefsessel doch räumen müssen, ohne deshalb wirklich ins Exil zu gehen. Er behielt den zweifelhaften Titel eines Sonderberaters der Regierung, der ihm genügend Entree verschaffte, um allseits lästig zu sein, und übte von seiner festungsartigen Villa über dem See Genezareth weiterhin beträchtliche geheime Macht aus. Spione wie Generale suchten ihn dort regelmäßig auf, um seinen Ring zu küssen, und was die Staatssicherheit betraf, so wurde keine wichtige Entscheidung getroffen, ohne daß nicht erst der Alte konsultiert worden wäre.
    Sein Gesundheitszustand war ein sorgfältig gehütetes Geheimnis. Gabriel hatte Gerüchte über Prostatakrebs, einen leichten Herzanfall und wiederholte Probleme mit den Nieren gehört. Daß der Alte nicht mehr lange zu leben hatte, war klar. Schamron fürchtete den Tod nicht – er fürchtete nur, ohne seine warnende Stimme könnte Selbstzufriedenheit einsetzen. Und als die beiden jetzt langsam durch das alte Ghetto schlenderten, war der Tod ihr Begleiter. Benjamins Tod. Und Schamrons. Die Nähe des Todes machte Schamron unruhig. Er wirkte wie ein Mann, der alte Rechnungen begleichen will. Wie ein Krieger, der verzweifelt einen letzten Kampf herbeisehnt.
    »Warst du auf der Beerdigung?«
    Schamron schüttelte den Kopf. »Benjamin hatte Angst, seine wissenschaftlichen Leistungen würden geschmälert, wenn bekannt würde, daß er für uns gearbeitet hat. Meine Anwesenheit hätte in Israel und im Ausland nur unbequeme Fragen aufgeworfen. Deshalb bin ich weggeblieben. Ich gestehe allerdings ein, daß ich auch keine große Lust hatte hinzugehen. Es ist immer schwierig, ein Kind zu begraben.«
    »War sonst jemand dort? Er hatte in Israel keine Angehörigen, glaube ich.«
    »Meines Wissens ein paar alte Freunde aus der realen Welt und einige wenige Kollegen von der Universität.«
    »Wer hat dich hergeschickt, Ari?«
    »Ist das wichtig?«
    »Für mich schon. Wer hat dich hergeschickt?«
    »Ich bin wie ein auf Bewährung Entlassener«, sagte Schamron müde. »Ohne Erlaubnis des Obersten Tribunals darf ich nichts tun, mich nicht bewegen.«
    »Und wer sitzt in diesem Tribunal?«
    »Zum einen natürlich Lev. Hätte er zu bestimmen, säße ich bei Wasser und Brot hinter Gittern. Aber zu meinem Glück gehört dem Tribunal auch der Ministerpräsident an.«
    »Dein alter Waffenbruder.«
    »Sagen wir einfach, daß wir über die Art des Konflikts und die wahren Absichten unserer Feinde ähnlich denken. Wir sprechen dieselbe Sprache und sind gern zusammen. Er sorgt dafür, daß ich im Spiel bleibe, obwohl Lev sich größte Mühe gibt, mich in mein Leichentuch zu hüllen.«
    »Dies ist kein Spiel, Ari. Es ist nie eines gewesen.«
    »Daran brauchst du mich nicht zu erinnern, Gabriel. Du verbringst deine Zeit auf den Tummelplätzen Europas, während wir täglich miterleben, wie sich Selbstmordattentäter auf der Ben Yehuda Street und der Jaffa Road in die Luft sprengen.«
    »Ich arbeite hier.«
    »Entschuldige, Gabriel. Das war nicht so gemeint. Woran arbeitest du?«
     »Interessiert dich das wirklich?«
    »Natürlich. Sonst hätte ich nicht danach gefragt.«
    »An dem Altarbild von Bellini in der Kirche San Zaccaria. Es ist eines der bedeutendsten Gemälde Venedigs.«
    Schamrons Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Ich würde viel dafür
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