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Die Loge der Nacht

Die Loge der Nacht

Titel: Die Loge der Nacht
Autoren: Vampira VA
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vermag?
    Etwas insgeheim Erhofftes, aber nie wirklich Erwartetes geschieht: In Juliettes kleinem Häuschen am Meer komme ich mir zum ersten Mal, seit ich mir meiner bewußt wurde, wirklich ein Stück näher. Und hier lerne ich auch mit der Zeit auszukommen, die ich selbst besitze - nicht mit gestohlenem Gut, mit dem ich so lange Schindlu-der trieb, es regelrecht verpraßte!
    Nein, die Kühle, die ich in mir spüre, ist tatsächlich Ruhe. Und Gelassenheit. Gerade so, als stellte sich mein Organismus auf die Uhren ein, die ihn umgeben. Auf das Ticken in den Herzen dieser einfachen Leute.
    Und was das Beste ist: Ich bin's zufrieden!
    Ich ernähre mich ausschließlich von dem, was Juliette mir auftischt, ganz und gar, als wäre ich ein Mensch wie sie!
    Mit der Zeit lerne ich aus der Not eine Tugend zu machen und schließlich sogar Glück daraus zu ziehen.
    Wer weiß, wie es zugeht, wer weiß, wie lang es halten mag. Ich genieße den Moment, wie nie zuvor ...
    (... und nie mehr danach.)
    In der Zeit, die ich bei Juliette verbringe, lehrt sie mich nicht nur ihre Sprache, sondern gibt mir auch die Hoffnung, daß ein verwirrtes, wahnhaftes Tier, als welches ich mich bis dahin fühlte, sich zu ändern vermag. Daß es die Gewalt in sich dauerhaft zügeln kann. Als Gleiche unter Gleichen.
    So reiht sich Tag an Tag bis hin zu jenem, als die alte Frau mich in ein Chaos der Gefühle stürzt: Erst in heillosen Schrecken, dann in dumpfe Depression, und schließlich in zaghafte Neugier und erwachende Freude.
    Es ist der Tag, an dem Juliette mir eröffnet, daß ich ein Kind erwarte.
    Ich - ein Kind?
    Und wenn . von wem?
    *
    Nachdem die Verwirrtheit abgeklungen ist, nachdem ich also Tage und Nächte darüber gebrütet habe, wie all dies zugehen kann, gelange ich zur Überzeugung, daß nur einer meiner Freier im Bordell der Vater jenes Balgs sein kann, das - wenn Juliette denn recht behält - in meinem Bauch heranreift!
    Juliette liest das Wechselbad, in das mich meine Gefühle stürzen, in meinen Augen. Vieles vermag ich überdies nun auch schon in Worte zu kleiden, die sie versteht.
    Ich war einem anderen Menschen nie so nah. Außer vielleicht Di-anne, aber das war eine völlig andere Art von Vertraulichkeit als bei dieser alten Frau.
    »Willst du es überhaupt zur Welt bringen?« fragt sie mich, nachdem sie mir Zeit gelassen hat, den Schock zu verdauen.
    Da habe ich die Frucht in meinem Leib längst ermordet - nicht einmal, sondern hundert Mal, wenn auch nur in Gedanken!
    Und jetzt, plötzlich, kann ich mir eine Trennung von dem Wunder in mir, das sich bald auch regen mag, nicht mehr vorstellen!
    Juliette zeigt für jede meiner wechselnden Launen Verständnis. Viele Frauen, sagt sie, sind hin- und hergerissen zwischen Wollen und Verweigerung, wenn sich ein Sproß ankündigt. Ob sie es nur zur Beruhigung sagt, ist mir gleich. Es hilft, und nur das allein zählt.
    Den Nachbarn im Dorf will ich das Kind so lange verschweigen, wie es geht, doch das duldet Juliette nicht - und nimmt es selbst in die Hand, die Nachricht zu verbreiten. Auf die Art einer Frau, der -so stellt es sich mir dar - niemand jemals böse sein kann und in deren Obhut ich unantastbar scheine.
    Möglich, daß die Leute hier einfach von solch unkompliziertem Schlage sind, ohne daß ein besonderes Geheimnis dahintersteckt.
    Wie sehr ich es hoffe, daß mein Kind hier wirklich akzeptiert wird, wenn es schließlich da ist .
    Und dann ist es soweit.
    Acht Monate nach meiner Flucht aus Amsterdam gebäre ich mit Juliettes tatkräftiger Unterstützung einen strammen Jungen. Einen Sohn, mit dem - auf dem Gipfel höchsten Wohlgefühls - zugleich auch mein baldiger, unaufhaltsamer Niedergang besiegelt wird .
    *
    Es ist eine Nacht, wie ich sie stürmischer noch nicht erlebt habe, seit ich mich in Morlaix niederließ. Der Wind heult und braust um das winzige Haus, das die Farbe des Felsens besitzt, an den es sich schmiegt.
    Ich liege wach, obwohl ich - seit ich dem Diebstahl fremder Zeit entsage - gelernt habe zu schlafen. Aber in einem solchen Orkan ist nicht daran zu denken, ein Auge zuzutun.
    David weint leise in meinem Arm. Wir liegen eng an eng im Stroh. Auch Juliette, die mir bei der Namenswahl behilflich war. Könnte uns jemand so sehen, würde er begreifen, was Harmonie bedeutet und zu geben vermag.
    Wann immer ich selbst unser Idyll überdenke, überkommt mich jedoch auch leises Schaudern, weil ich eines weiß: Lang wird Juliette nicht mehr bei uns sein. Sie verbirgt es
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