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Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Titel: Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Autoren: Elspeth Cooper
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Balkon im fünften Stock konnte Gair das frische Holz riechen. Über dem Duft von Harz und frisch geschlagenen Kiefern lag der des scharf und zugleich süßlich parfümierten Öls, das den Gestank brennenden Fleisches verdecken sollte.
    Es würde ein schöner Tag werden. Der Winter hatte die Inseln noch im Griff, aber dieser war im Sonnenschein nicht mehr so fest und sicher, und auf den Weiden glitzerte es, als ob sie mit Diamanten übersät wären. Bald würde sich das neue Gras durch das alte gelbe drücken; die Knospen an den Bäumen schwollen bereits an. Was für eine Ironie des Schicksals, dass das Kapitelhaus seine Toten von sich gab, während sich überall um es herum das neue Leben ankündigte.
    Gair senkte den Blick auf das Glas in seiner Hand. Es war ein prachtvolles Beispiel für die Glasbläserkunst der Inseln. Fuß und Stiel waren in dunkelstem Purpur gehalten, der am Rand über Amethyst zu Silber wurde. Weniger als ein Zoll Branntwein war in dem Pokal übrig, aber er floss vor Erinnerungen über. Gair dachte daran, wie er einen Satz dieser Gläser auf dem Markt im Hafen von Pensaeca als Wintersonnenwendgeschenk für Aysha gekauft hatte, während sie als Habicht auf seiner Schulter gehockt und vor Belustigung, die nur für ihn erkennbar gewesen war, spitze Schreie ausgestoßen hatte, als der Händler schüchtern gefragt hatte, ob dieser großartige Vogel zum Verkauf stehe. Er dachte an Gewürzwein, während der Winterwind im Kamin jammerte. Er dachte daran, wie er das Glas repariert hatte, nachdem sie es im Streit über etwas Unwichtiges zerschmettert hatte, und wie sie es zielstrebig immer wieder aus dem Satz gleichartiger Gläser herausgegriffen hatte, obwohl die Reparatur nicht zu erkennen war. Sie hatte gesagt, sie spüre Gairs Weben in dem Glas und deshalb sei es zu ihrem Lieblingsglas geworden. Es war genau das, das er nun in der Hand hielt.
    Er trank es leer, und der starke Alkohol rann ihm die Kehle hinunter und wärmte ihm den Magen. Nun war die Karaffe leer. Er wünschte, er könnte die Erinnerungen mit dem letzten Schluck herunterspülen, aber sie blieben und bevölkerten die Leere in ihm mit Geistern.
    Als Gair sich umdrehte und wieder ins Zimmer gehen wollte, sah er Alderan bei der Tür; er hatte die Hand auf die Klinke gelegt. Gair hatte nicht gestört werden wollen, aber irgendwann hatte es passieren müssen, und warum nicht heute? Wenigstens hatte Gair sich waschen und rasieren können. Er stellte das Glas auf dem Tisch ab.
    Alderan verzog keine Miene, als er Gairs Erscheinungsbild betrachtete und den feinen blauen Wollumhang zur Kenntnis nahm, der ihm von den Schultern bis zu den Füßen reichte.
    »Er steht dir gut, Junge«, sagte er schließlich.
    »Ich dachte, es würde ihr gefallen.«
    »Dessen bin ich mir sicher.«
    Gair zog den Stoff über seiner Brust glatt, obwohl es gar nicht nötig gewesen wäre. Der Schnitt war perfekt.
    »Ihr wusstet es?«
    »Ja. Als sie ihn dir gegeben hat, hattest du ihn noch nicht verdient, auch wenn wir alle dein Potenzial bereits erkannt hatten. Du besitzt eine bemerkenswerte Gabe. Aber jetzt gehört dir die Robe von Rechts wegen.«
    Gair verneigte sich ganz kurz. Er trug diesen Mantel nicht für sich selbst.
    »Habt Ihr etwas herausgefunden?«
    »Ein wenig. Donatas Geist war übernommen und ihre Gabe aufgehoben worden. Auf diese Weise hat Savin den Riss offen gehalten. Eine Vortäuschung ihrer Farben wurde in dem Gewebe belassen, so dass er sein Vorhaben verschleiern und sich etwas Zeit erkaufen konnte.« Alderan seufzte und sah plötzlich sehr müde aus. »Wir wissen noch immer viel zu wenig; so viel Wissen ist uns verloren gegangen. Ich hatte gehofft, besser auf ihn vorbereitet zu sein, wenn wir ihm wieder gegenüberstehen.«
    »Und Darrin?«
    »Darrin war sein Handlanger. Wegen des Schutzzaubers hätte Savin uns nie unmittelbar angreifen können, also hat er einen Agenten zu uns geschickt. Es war reiner Zufall, dass es ausgerechnet Darrin war, dem er das Zeichen gegeben hat.«
    »Das Zeichen?«
    »Er hielt es in der Faust, als wir ihn fanden. Es war ein geschliffener und polierter Kristall, der einem Edelstein glich. Vermutlich war ein Zauber darum gewoben, der dafür gesorgt hat, dass Darrin ihn immer bei sich trug. Dadurch hat Savin den Jungen an sich gebunden. Ich bin sicher, den Rest kannst du dir vorstellen.«
    Schuldgefühle drückten auf Gairs Herz. »Darrin wollte den Stein für Renna in einen Ring fassen lassen. Es sollte ein Verlobungsring
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