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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
Autoren: Setz Clemens J.
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nach Hause ginge. Der lange Bart des Kollegen streifte über den Bauplan, dann blickte er auf und nickte.
    – Natürlich nicht, sagte er.
4
    Als Daniel am nächsten Tag zur Arbeit fahren wollte, sah er den Hausbesitzer, Herrn Greith, im Garten. Greith trug ein T-Shirt, auf dem eine abstrakte Wasserfläche und ein brauner Inselhügel zu sehen waren. Auf der Insel stand eine einzelne Palme, die im Begriff war, das Gleichgewicht zu verlieren. Etwas abseits stand Herr Gruber, ein Mieter aus dem vierten Stock.
    – Daniel!, rief Greith. Hast du unseren Dinosaurier hier schon gesehen? Wir sind alle schon einmal darauf geritten.
    Er hielt einen Zettel hoch, eine Liste von Zahlen. Daniel konnte nur die oberste Zahl erkennen: 92. Er blinzelteund dachte an seine schwächer werdenden Augen, da hielt ihm jemand eine Münze vors Gesicht, und er zuckte zurück.
    Greith lachte, weil er Daniel erschreckt hatte.
    – Alles in Ordnung, sagte Greith. Du bist nicht der Erste. Oder?
    Gruber lachte bestätigend und deutete auf seine Schuhe, als wäre das eine sinnvolle Ergänzung.
    – Ich weiß, wie viel ich wiege, sagte Daniel.
    – Aber es macht mehr Spaß, wenn die ganze Nachbarschaft zuschaut.
    Greith klopfte ihm auf die Schulter. Er deutete auf die Galerie der Balkone, die ernst auf die drei Männer im Garten herunterblickten. Auf einem Balkon stand ein Kinderteleskop, dessen Hals in einem extremen Winkel verbogen war, als hätte ihm jemand das Genick gebrochen. Ein leichter Wind strich über die Männer, also nahm Daniel die Münze und warf sie ein. Er ärgerte sich darüber. Er stieg für eine Sekunde auf die Waage, nur mit halbem Gewicht, der Zeiger federte wild hin und her, und bevor er sich eingependelt hatte, war Daniel schon wieder heruntergestiegen und auf dem Weg zum Auto. Sein Herz schlug.
    – He, rief Greith ihm nach.
    Gruber wieherte vor Lachen.
    Daniel wandte sich um. Greith deutete mit dem Zeigefinger auf ihn, dann ließ er den Finger zu der Waage hinwandern. Daniel winkte ab, und obwohl die beiden Männer längst nicht außer Hörweite waren, tippte er auf seine Armbanduhr und stieg ins Auto.
    Er hatte Schwierigkeiten, aus der Einfahrt zu kommen. Obwohl er sich sicher war, dass die beiden ihnnicht beobachteten, fuhr er zuerst viel zu nahe an die Hauswand heran, musste den Vorwärtsgang wieder einlegen und alles noch einmal versuchen. Bestimmt war es die Müdigkeit, dachte er. Wieder waren die Wände die halbe Nacht lang voll verrückt gewordener Musik gewesen, und er war diesmal gar nicht erst hinaufgegangen, obwohl ihn Rita mehrmals darum gebeten hatte.
    Bevor er um die Ecke bog, riskierte er einen letzten Blick zurück. Die Männer beachteten ihn gar nicht. Greith las mit großer Geste von dem Zettel ab.
5
    Wieder kam seine Frau schnaufend ans Telefon und musste, bevor sie sprechen konnte, erst einmal Atem schöpfen.
    – Ja? Was?
    Daniel hatte völlig vergessen, warum er sie angerufen hatte. Also sagte er:
    – Hast du danach noch schlafen können?
    – Nein. Du?
    – Doch. Ein bisschen.
    – Schön für dich.
    – Du bist wütend auf mich, oder? Weil ich diesmal nicht raufgegangen bin?
    Sie schwieg.
    – Ich bin ja selbst wütend auf mich, sagte er, ich war nur schon so müde … und sich noch einmal anziehen und hinauflatschen und sich da oben aufspielen –
    – Du hättest dich nicht anziehen müssen, korrigierte sie ihn. Für so etwas hat man einen Morgenmantel.
    – Ich nicht. Ich mach so was nicht.
    – Du machst so was nicht, wiederholte sie. Ja, hab ich gemerkt.
    – Nein, das meine ich nicht, sagte er. Ich ziehe keinen Morgenmantel über meinen Pyjama und gehe dann nach oben und läute an irgendeiner Tür.
    – Nicht an irgendeiner , sagte seine Frau gereizt.
    – Bist du jetzt wütend?, fragte er.
    – Ach … Frag mich das am besten später noch einmal.
    – Ich hab’s mir schon gedacht, sagte Daniel und stand von seinem Sessel auf. Du bist immer so kurz angebunden.
    – Bin ich das?
    – Ja, du bist es jetzt doch auch.
    – Aha.
    – Da, siehst du?
    – Weißt du was, lass uns das Thema wechseln, sagte sie.
    Er räusperte sich, aber der kratzige Ton, den seine Stimme schon den ganzen Morgen hatte, ging davon nicht weg. Ihm fiel auf, dass das Schuhband an seinem linken Schuh aufgegangen war. Er legte den Telefonhörer zurück auf den Apparat und beugte sich unter seinen Schreibtisch. Nachdem er den Knoten festgezogen hatte, bemerkte er, dass er den Hörer aufgelegt hatte, ohne sich zu
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