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Die Liebe deines Lebens

Die Liebe deines Lebens

Titel: Die Liebe deines Lebens
Autoren: Cecelia Ahern
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    »Oscar«, sagte ich zu dem Klienten, der mir in dem Sessel vor meinem Schreibtisch gegenübersaß. »Der Busfahrer will Sie ganz bestimmt nicht umbringen.«
    »O doch. Er hasst mich, aber das können Sie nicht wissen, weil Sie nicht gesehen haben, wie er mich anschaut.«
    »Und wie kommen Sie auf die Idee, dass der Busfahrer solche Gefühle gegen Sie hegt?«
    Oscar zuckte die Achseln. »Sobald der Bus anhält, macht er die Tür auf und starrt mich böse an.«
    »Sagt er irgendwas zu Ihnen?«
    »Nicht, wenn ich einsteige. Aber wenn ich draußen bleibe, dann brummt er irgendwas vor sich hin.«
    »Manchmal steigen Sie also
nicht
ein?«
    Er rollte die Augen und blickte auf seine Hände. »Manchmal ist mein Sitz nicht frei.«
    »Ihr
Sitz
? Das ist neu. Was für ein Sitz denn?«
    Er seufzte, weil ich ihm auf die Schliche gekommen war und er beichten musste. »Wissen Sie, alle Leute im Bus starren mich an, okay? Ich bin der Einzige, der an der Haltestelle einsteigt, und alle glotzen. Und weil sie alle glotzen, setze ich mich auf den Platz gleich hinter dem Fahrer. Sie wissen schon, auf den, wo man seitlich sitzt, zum Fenster. Der Fenstersitz, ein bisschen abseits vom Rest des Busses.«
    »Da fühlen Sie sich sicher.«
    »Ja, der Platz ist perfekt, da könnte ich den ganzen Weg in die Stadt sitzen bleiben. Aber manchmal sitzt da eben dieses Mädchen, ein behindertes Mädchen, sie hört Musik auf ihrem iPod und singt Lieder von den
Steps
mit, so laut, dass der ganze Bus mithören kann. Wenn sie da ist, kann ich nicht einsteigen, und das nicht nur, weil behinderte Menschen mich nervös machen, sondern weil es mein Sitz ist, verstehen Sie? Und bevor der Bus hält, kann ich auch nicht sehen, ob sie da ist. Deshalb muss ich erst checken, ob der Platz frei ist, und wenn das Mädchen da sitzt, steige ich wieder aus. Und der Busfahrer hasst mich.«
    »Wie lange geht das schon so?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht ein paar Wochen.«
    »Oscar, Sie wissen, was das bedeutet. Wir müssen noch mal anfangen.«
    »O Mann.« Er vergrub das Gesicht in den Händen und sank in sich zusammen. »Aber ich war doch schon halb in der Stadt.«
    »Achten Sie darauf, dass Sie Ihre wirkliche Angst nicht auf eine andere Befürchtung projizieren. Wir sollten das am besten gleich anpacken. Morgen steigen Sie in den Bus, setzen sich auf
irgendeinen
freien Platz und bleiben da bis zur nächsten Haltestelle sitzen. Dann können Sie aussteigen und zu Fuß nach Hause gehen. Am nächsten Tag steigen Sie ein, setzen sich
irgendwohin
, bleiben bis zur übernächsten Haltestelle sitzen und gehen dann heim. Am Tag darauf bleiben Sie drei Stationen lang sitzen, und dann vier – verstehen Sie? Sie müssen das Problem schrittweise angehen, und irgendwann sind Sie dann am Ziel.«
    Ich war nicht sicher, ob ich ihn oder mich überzeugen wollte.
    Langsam hob Oscar den Kopf. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
    »Sie schaffen das«, sagte ich freundlich.
    »Bei Ihnen klingt das so einfach.«
    »Aber für Sie ist es nicht einfach, das verstehe ich. Machen Sie Ihre Atemübungen. Nach einer Weile ist es nicht mehr so schwierig. Dann können Sie den ganzen Weg zur Stadt im Bus bleiben, und die Angst verwandelt sich in Freude. Ihre schlimmsten Momente werden bald Ihre glücklichsten sein, denn Sie überwinden große Herausforderungen.«
    Er sah mich unsicher an.
    »Vertrauen Sie mir.«
    »Das tu ich ja, aber ich bin nicht mutig.«
    »Mutig ist nicht, wer keine Angst hat, sondern wer seine Angst überwindet.«
    »Steht das in einem Ihrer Bücher?«, fragte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf die dicht mit Ratgebern aller Art bepackten Bücherregale in meinem Büro.
    »Nelson Mandela«, lächelte ich.
    »Schade, dass Sie als Jobvermittlerin arbeiten, Sie wären bestimmt eine gute Psychologin«, sagte Oscar und hievte sich aus dem Sessel.
    »Ich tu das für uns beide. Wenn Sie es schaffen, mehr als vier Haltestellen im Bus zu sitzen, dann erweitert das Ihre Jobchancen enorm.« Ich versuchte, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Oscar war ein hochqualifizierter, hochintelligenter Mann, für den ich jederzeit einen guten Job finden konnte – ich hatte ihn schon dreimal vermittelt –, aber seine Mobilitätsprobleme schränkten ihn beträchtlich ein, da er nicht regelmäßig bei der Arbeit erscheinen konnte. Nun versuchte ich, ihm gezielt bei der Überwindung seiner Phobie zu helfen, und da er nicht selbst fahren lernen wollte – und ich nicht
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