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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Kampf erfolgreich ist, ansonsten aber erlahmen irgendwann die Kräfte, hier und da flammt noch Hoffnung auf, bevor nur noch Verzweiflung herrscht.
    4. Die letzte Hoffnung und Verzweiflung muss durchgestanden werden . Noch einmal durchlebt der Betroffene das gesamte gemeinsame Leben, noch einmal vertraut er darauf, dass der Andere sich eines Besseren besinnt und irgendwann doch wieder »alles gut wird«, bevor die letzte Hoffnung von finaler Verzweiflung abgelöst wird: Völlig sinnlos ist das Leben ohneden Anderen, unmöglich zu leben ohne ihn! So sehr können Leben und Liebe an einen einzigen Menschen gebunden sein, so innig mit ihm verschmelzen, dass dessen Abwesenheit nun alle Liebe, alles Leben in Frage stellt. Unweigerlich konfrontiert das Ende der Liebe mit der Endlichkeit des Lebens, der der Verlassene sich schutzlos ausgesetzt sieht, der Einsamkeit preisgegeben in dieser Welt des Todes: Die schaurige Aussicht, dass über die Liebe hinaus nichts mehr zu sehen ist, treibt Tränen in die Augen, die nicht mehr versiegen wollen, bis das Selbst sich buchstäblich »die Seele aus dem Leib geweint hat«. Es hilft nichts zu sagen, die Zeit heile alle Wunden, denn gewiss erscheint in dieser Situation nur, dass die Zeit die Wunden noch vertieft, auch wenn an der Oberfläche des gelebten Lebens von Wunden nichts zu sehen ist. Gerade die Liebe, die so viele Verletzungen mit umfassendem Sinn zu heilen vermag, verletzt auch und zwingt zur Erfahrung vollkommener Sinnlosigkeit, wenn der existenzielle Zusammenhang zerbricht: Darin besteht die tiefe Verwundbarkeit dessen, der liebt. Dass das Geschehen aus künftiger Perspektive, beim Blick zurück einen Sinn gehabt haben wird, sobald klar ist, dass es ein neues Leben herbeigeführt hat, lässt sich jetzt noch nicht für möglich halten. Und doch bringt die finale Verzweiflung auch die große Entlastung mit sich, denn auf wundersame Weise spülen die Tränen die zentnerschwere Last des alten Lebens aus dem Leib. Daher kommt so viel darauf an, dem abgrundtiefen Traurigsein Raum zu geben: Die Trauer ist so heilsam wie vordem die Liebe; durch sie hindurch entsteht ein neues Versöhntsein mit dem Leben. Und jetzt ist auch die Zeit, sich die Bedeutung der Liebe einmal kleinzureden: »Liebe ist nicht so wichtig, wie man denkt, / Liebe ist nur ein Teilaspekt des Lebens, / und die anderen Teile sindauch nicht schlecht« (Lassie Singers, Liebe wird oft überbewertet , Popsong, 1996). Wenn es denn hilft.
    5. Das Selbst findet neu zu sich selbst . Sich den Verlust der Attraktivität, die den Anderen noch hätte binden können, und das Scheitern der Beziehung einzugestehen, ist die Voraussetzung dafür, Abschied nehmen zu können von den Träumen, was noch alles möglich gewesen wäre, um zur Wirklichkeit zu gelangen, wie sie jetzt ist, und zu sich selbst zurückzufinden. Wichtig ist allein, der Seele die Zeit zu lassen, die sie braucht, um sich wieder zu beruhigen und zu heilen, nicht nur Wochen und Monate, sondern nach einer langjährigen Beziehung auch Jahre. Gespräche mit dem besten Freund, der besten Freundin sind wertvoll wie nie, auch wenn aller Beistand nichts daran ändert, dass das Selbst allein mit seiner Situation zurechtkommen muss. Körperliche Bewegung bringt die Energien wieder in Fluss, Ausgehen lenkt ab, Gewohnheiten, sofern eigene bewahrt worden sind, halten das Leben, das für eine Weile haltlos geworden ist. Auch Arbeit hilft, denn sie stellt die Planken der Pragmatik zur Verfügung, auf die die Schiffbrüchigen der Liebe und des Lebens sich retten können: Nicht nur die Liebe besiegt alles, Amor omnia vincit ( Bucolica , X, 69), auch die Arbeit ist siegreich in allem, Labor omnia vicit , wie es an anderer Stelle bei Vergil heißt ( Georgica , I, 145).
    In der Weite des Geistes, in der Beschäftigung mit Werken der Literatur, der Philosophie, der Religion und aller Wissenschaften löst sich die Enge wieder auf, in die das Leben geraten ist. Hilfreich ist die Selbstverständigung mit sich in schriftlicher Form, die Niederschrift des Erlebten und der inneren Bewegung, um das bedrückte Innere nach außen zu bringen, sich über sich selbst klarer zu werden und sich wieder mit sich zu befreunden. Die neuerliche Besinnung auf sich führt dazu,das eigene »Gesicht« wieder zu gewinnen und sich selbst neu zu entdecken, vor allem diejenigen Seiten an sich, die an der Seite des Anderen brachliegen mussten. Es hat Sinn, sich zu fragen, was falsch gemacht worden ist, um sich am
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