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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Will der Andere losgelassen werden? Wenn ja, dann ist das zu akzeptieren, ansonsten aber bleibt die Möglichkeit festzuhalten. Nicht nur das Loslassen erscheint sinnvoll, auch das Festhalten. Nur wer loslässt, hat die Hände frei? Aber wer immer nur loslässt, verliert auch den Halt. In der bestehenden Beziehung weiterhin einen integralen Bestandteil des eigenen Selbst zu sehen, ist eine Frage der Selbstbesinnung und Selbstdefinition, äußerstenfalls auch über eine Trennung hinaus. Aus dieser Sicht kann die moderne Freiheit nur als Verhängnis erscheinen, denn die Möglichkeit, sich jederzeit aus einer Bindung lösen zu können, hält niemanden dazu an, sich an ihrer Rettung zu versuchen.
    Beide haben eine grundlegende Wahl zu treffen: Kann die Beziehung trotz allem weiter bestehen oder ist sie endgültig am Ende? Kann der je Andere noch bejaht und wertgeschätzt werden, wenn auch nicht in jedem Moment und nicht in jeder Hinsicht? Aber den Ausschlag gibt derjenige, der sich gegen die Beziehung entscheidet, mit Gründen, die sich auf einen einzigen reduzieren lassen: Er oder sie will nicht mehr. Dasführt zur »inneren Kündigung«, noch bevor es zur äußeren kommt, und blitzt bei Kleinigkeiten auf, die »nicht mehr stimmen«, sodass der Andere sich zu fragen beginnt, mit wem er eigentlich zusammenlebt, bevor er etwas so Unliebsames hört wie: »Ich finde, wir sollten uns mal eine Zeit lang nicht sehen.« Die Liebe hält alles zusammen? Sie zerbricht auch alles, wenn sie schwindet. Zum Gegensteuern ist es jetzt meist schon zu spät. Lange Zeit konnte vielleicht noch die gemeinsame Konzentration auf eine Aufgabe, ein fernes Ziel, ein Zusammenstehen gegen einen Gegner, einen Feind kaschieren, dass da von Grund auf etwas nicht zusammenstimmt. In dem Moment jedoch, in dem das Ziel erreicht oder allzu lange schon verfehlt worden ist, der Gegner keiner mehr ist oder der Feind »besiegt« von dannen zieht, wird deutlich, dass das, was zusammengezwungen wurde, nie zusammenfand. Verglichen mit den Gegensätzen und Widersprüchen, die plötzlich im grellen Licht stehen, erscheinen die Gemeinsamkeiten nun verschwindend klein, und derjenige, der an ihnen kein Interesse mehr hat, kann überhaupt keine mehr erkennen. Derjenige, der die Beziehung beenden will, hält das, was geschieht, für geradezu »zwingend«, der Andere keineswegs. Deutlicher als je zuvor wird, dass zwei Menschen tatsächlich in zwei Welten leben können, mag es sich dem Anschein nach auch um ein und dieselbe Welt handeln. Radikaler als je zuvor richten beide sich in ihrer eigenen Logik ein, fühlen sich »im Recht« und gerechtfertigt, sehen sich vom jeweils Anderen enttäuscht und betrogen. Jeder wurde aus seiner Sicht übel behandelt vom Anderen und zum »Opfer« gemacht. Gerne wird vergessen, dass in einer Beziehung alles mit allem zusammenhängt, dass es also wohl auch eigene Anteile an der verhängnisvollen Entwicklung geben muss.
    Nur in Zeiten des Krieges und in Momenten der Panik lösen sich ethische Grundsätze ähnlich zügig und vollständig auf wie am Ende der Liebe, bei dem es in gewisser Weise ebenfalls ums nackte Überleben geht. Nur dann, wenn beide sich auch in dieser Situation noch an ihre Ethik der Liebe gebunden fühlen, kann ein Prinzip wie Fairness ein letztes Mal als Maßstab für Gerechtigkeit dienen: Fairness beim Entlieben wäre, den Anderen frühzeitig mit den eigenen Überlegungen vertraut zu machen, sodass er sich darauf einstellen und dagegen womöglich noch intervenieren kann. Erscheint das Ende unumgänglich, ist es fair, ihn um eine gemeinsame Auflösung der Beziehung zu bitten, um ihn nicht mit der einseitigen Trennung einer Demütigung des Verlassenwerdens auszusetzen, die zum Trauma seines Lebens werden kann. Insbesondere könnte die Fairness den kürzesten Weg der Trennung verbieten, die Kurzbotschaft »Das war’s!« auf dem Handy-Display , die in ihrer Bequemlichkeit die Geringschätzung des Anderen offen zur Schau stellt und aus dem Medium großer Nähe, an dem viele sich festklammern, um sich nie einsam fühlen zu müssen, ein Medium der raschen Entfernung macht, das den Anderen mit achtloser Geste binnen eines Augenblicks in die Einsamkeit wirft. Fair wäre schließlich, den Anderen nicht auch danach noch mit virtuellen Mitteln zu martern: Von niederen Motiven zeugt die Praxis, Videos intimer Handlungen mit dem oder der »Verflossenen« ins Netz zu stellen. Auch die Fotos mit dem oder der »Neuen« müssen nicht in
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