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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen
Autoren: Wilhelm Schmid
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animieren, seinerseits zu lieben, sodass das Selbst endlich geliebt wird. So mancherkann wohl überhaupt nur noch aus diesem unverkennbar narzisstischen Grund lieben: Weil es die unabdingbare Voraussetzung dafür ist, geliebt zu werden. Alle wollen geliebt werden, und je bedingungsloser, desto besser, aber das größere Problem besteht darin, dass nicht alle selbst lieben wollen, und bedingungslos schon gleich gar nicht. Vielleicht sind auch zu viele Versuche zur bedingungslosen Liebe schon missglückt, denn gerade der, der bedingungslos liebt, läuft Gefahr, nicht in gleicher Weise geliebt werden zu können, und verliert sich selbst in seiner Liebe.
    Und doch kann am ehesten die Anregung in Gang bringen, was nicht zu erzwingen ist: Das kann bedeuten, dem Anderen in einer ihm bedeutsamen Sache weit, sehr weit entgegenzukommen, ihm Schönes in Aussicht zu stellen, um seine Liebe zu wecken oder sie in der bestehenden Beziehung zu reanimieren, soweit das möglich ist, wenn das Geliebtwerden nachgelassen hat oder versiegt ist. Nur dort, wo die Anregung nichts mehr vermag, wird gerne ein Anrecht formuliert, das jedenfalls nach subjektiver Überzeugung existiert, meist aufgrund einer Vorleistung, auf die der Andere unbedingt antworten soll: Der, der liebt, fühlt ein natürliches Recht auf eine angemessene Antwort des Anderen in sich; auch Shakespeare spricht im 117. seiner Sonette vom »teuer erkauften Recht« ( dear-purchas’d right ), das derjenige beanspruchen kann, der sich »Verdienste« in der Liebe erwirbt. Aber dieses Recht wird nicht durch seine Beanspruchung schon wirksam, sondern erst dann, wenn es vom Anderen zugestanden wird. Für dieses Zugeständnis spricht von Seiten des Anderen, dem beanspruchenden Selbst fortan die Bittposition zu ersparen, denn wer Rechte hat, ist kein Bittsteller mehr. So können sich zwei in einer Beziehung mit großem Wohlwollen wechselseitig Rechtezugestehen, die beispielsweise die Form von Privilegien annehmen können, und beide empfinden das als schön, denn auf diese Weise wird es erfahrbar, geliebt zu werden.
    Ein Mangel an solchem Wohlwollen lässt jedoch im Gegenzug den Schluss zu: Es gibt kein Geliebtwerden mehr. Bleibt jedes Zugeständnis aus, wird dies zunächst als Unverschämtheit , dann als Unrecht empfunden, um das vermeintliche Recht schließlich mit allen Machtmitteln noch einzufordern, die zu Gebote stehen, einschließlich einer Verweigerung all dessen, was der Andere sich wünscht. Aber das Selbst wird sein Recht nicht einklagen können, denn Menschen können beliebig viele natürliche Rechte beanspruchen, immer mit gutem Recht, ohne dass daraus in jedem Fall ein Anspruchsrecht werden könnte. Viele kodifizierte Rechte waren ursprünglich natürliche Rechte, aber das Recht auf Liebe kann, wie das Recht auf Glück (anders als das Recht auf Streben nach Glück), nie ein Anspruchsrecht sein, denn wo und wie sollte ein solcher Anspruch eingeklagt werden? Kein Mensch kann per Richterspruch und mit Exekutivgewalt dazu gezwungen werden, jemanden zu lieben. Antwortet der geliebte Andere nicht auf die Anregung zur Liebe und gesteht dem Liebenden kein Anrecht darauf zu, geliebt zu werden, entwickelt sich keine Beziehung, und falls schon eine besteht, endet sie, auch wenn der Liebende auf seinem Recht beharrt.
    Glücklich ist die Liebe, in der Lieben und Geliebtwerden sich die Waage halten. In selteneren Fällen kann auch die unerwiderte Liebe als glücklich empfunden werden, die das Lieben, nicht das Geliebtwerden kennt: Sie erspart dem singulär Engagierten die Schwierigkeiten und Misslichkeiten einer beiderseitigen Liebe. Manche Menschen scheinen sogar ein Bedürfnis nach Nichterfüllung zu haben, denn die Liebe kann nur danngroß und erhaben erscheinen, wenn ihr das Kleine und wenig Erhabene des alltäglichen Lebens erspart bleibt. Bedarf die wahre Liebe etwa der Gegenliebe gar nicht? In vielen Fällen ist dennoch die unerwiderte auch die unglückliche Liebe und der Stoff zahlloser realer Dramen, die nicht immer eine so katastrophale Wendung nehmen müssen wie Goethes Leiden des jungen Werthers (1774), dessen Protagonist das Weiterleben verweigert, nachdem Lotte ihm das Recht, geliebt zu werden, versagt. Unerwidert und bis zum bitteren Ende unglücklich blieb auch die wirkliche Beziehung zwischen Gustav Mahler und Alma Schindler, in der der Komponist seiner Ehefrau ein Recht, geliebt zu werden, lange nicht zugestehen wollte: Er verlangte ihr vielmehr ab, sich ihm
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