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Die Liebe am Nachmittag

Die Liebe am Nachmittag

Titel: Die Liebe am Nachmittag
Autoren: Erno Szep
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ich sein Flüstern hören. Er flüstert: Kuss. Kuss, Kuss, Kuss, auch die Stimme der Sprechenden sagt das, was immer sie redet, ebenso sagt es auch der Druck ihrer Hände; die Augen einer Frau, ihre Stimme und ihre Hände, wie ähnlich sie sich sind, wie sehr sie zusammengehören, auf wundersame Weise gestehen alle dasselbe.
    Ich weiß nicht, was darüber entscheidet, wer mit wem etwas zu tun bekommt. Die Wissenschaft sagt, das Verhältnis der Keimzellen entscheide über die gegenseitige Anziehung von Mann und Frau. Das Verhältnis der zweigeschlechtlichen Keimzellen in den beiden Organismen. Möglich; möglich, dass ich auf dem Gehsteig beim Vorbeigehen eines weiblichen Wesens überrascht aufblicken muss und dass die Frau auch mich aus diesem Grunde mustert. Weil wir beide etwas gespürt haben. Doch dann gehen wir unserer Wege. Wahrscheinlich bleibe ich auch im Theater aus eben diesem Grund mit den Augen an einer Frau hängen, die zehn Meter von mir entfernt sitzt und mit der ich ganz und gar nichts im Sinn habe. Wie rätselhaft doch das Leben ist!
    Ein Diener brachte Ananaserdbeeren.
    Der Mund der Frau glänzte feucht davon.
    In der Dunkelheit funkelten ihre Zähne wie Eis.
    »Tanzen Sie nicht?«
    Nein, ich tanze nicht. In meiner Jugendzeit galt das Tanzen nichts. Als es in Mode kam, war ich kein Jüngling mehr. Außerdem schrieb ich Gedichte. Wie sollte mir jemand glauben, dass mir aus Sorge um die Welt das Herz bricht, wenn er sieht, wie ich lüstern an einer Partnerin klebe. Es ist meinWahn, dass ich die Seele der Menschheit bin, ihr Gewissen. Ich kann nicht tanzen, obwohl ich es gern täte. Auch ein Priester würde es ja gern tun, muss aber ebenfalls verzichten. Und dann hatten wir Krieg, als ich jung war, auch das darf ich nicht vergessen. Mit meiner Tanzerei hätte ich doch den Gefallenen in die Weichteile getreten. Lachen Sie mich aus, es ist erlaubt.
    »Keineswegs, ich kann Sie verstehen.«
    Und ich musste auch erklären, warum ich nicht Bridge spiele. (Sie tut es.) Ich habe keine Zeit dazu. Hätte aber auch keine Geduld für Bridge-Séancen. Als ich noch Karten spielte, bevorzugte ich Baccarat, Macao und Chemin de fer. Und selbst das reut mich heute. Wie viele Liebes- und Herzensangelegenheiten habe ich dabei versäumt, wie viele Lesefreuden und welch fruchtbare Arbeit. Das Kartenspielen ist ein unergiebiges Erlebnis, es hinterlässt keine Erinnerung. Schade um diese tauben Stunden. Für mich beginnen die Stunden des Lebens schon kostbar zu werden.
    »Aber der Mensch muss doch ein solches Narkotikum haben«, sagte sie wie ein Märtyrer.
    Ich brauche es nicht. Ich gehe weder dem Leid noch der Langeweile aus dem Weg. Muss auch sie haben. Eine schlechte Empfehlung bei einer Frau, nicht wahr?
    Sie nahm gerade das Löffelchen aus dem Mund. Verhalten lachend schüttelte sie den Kopf; wie eine Flamme schoss ihre Zunge plötzlich hervor, um die Lippen abzulecken. Ich griff nach dem Glasteller, weil sie die Erdbeeren aufgegessen hatte, und stellte ihn vor meine Füße. Meine Linke lag auf meinem Schenkel. Sie ließ ihre Hand sinken, strich kaum spürbar über meine Hand. Und sagte mit einer Stimme so weich wie diese Berührung:
    »Ich freue mich sehr über Sie.«
    Auch ich mich über Sie.
    Was hat mir diese Frau beschert? Meine Augen, meineStimme oder meine Hand? Schon bei jener Soiree vor einem halben Jahr oder bei denen vor einem Jahr – denn sie hat mich an diese zwei Anlässe erinnert, bei denen wir beide zugegen waren; hat auch sie diese Nähe damals schon gewittert und gespürt, dass hier jemand ist, den sie einmal wird haben müssen?
    Und wir schwiegen dann, ich erinnere mich. Diese Stille ist so, als fiele Schnee in dichten Flocken, und einer kann den anderen nicht sehen. Dann bat sie um eine Zigarette und während sie sie anrauchte, schweifte ihr Blick zu den Tanzenden; zwei Paare schlichen im Kreis, die übrigen saßen herum und waren miteinander beschäftigt, ein Paar stand in der Ecke am Fenster und beobachtete uns. Die Dame nahm den ersten tiefen Zug und entließ den Rauch im Staccato mit jedem Wort, mit in Rauch gehüllten Worten, ihre Augen hatten mich im Blick, aber so träge, als hätte sie mir nichts, aber auch gar nichts auf der Welt zu sagen:
    »Morgen Vormittag rufe ich Sie an. Wann stehen Sie auf?«

4.   Nacht
    So begann meine Angelegenheit mit der Dame.
    Sie rief mich vormittags an, um halb zwölf:
    »Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?«
    Sie selbst wie ein Murmeltier. Obwohl sie noch
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