Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)

Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)

Titel: Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
Autoren: Smila Spielmann
Vom Netzwerk:
Köchin und ihre Gehilfinnen wurden rasch herbeigewunken und auch die Mägde und Knechte wurden gerufen. Es gab auf der Burg keine Arbeit, die so wichtig gewesen wäre, als dass man darüber Crystals Spiel versäumen wollte.
    Der erste Ton der Harfe fiel in die Stille wie ein Stein, der auf einen ruhigen See fällt. Selbst der kleinste Stein zieht im Wasser seine Kreise, doch um seine Wirkung voll entfalten zu können, muss man ihm Zeit geben. Diese Lektion war eine der Ersten, die Crystal von Meister Martim gelernt hatte. Die Bilder aus der Zeit der Lieder waren einfach, doch von einer tiefen Sehnsucht und einem stillen Schmerz erfüllt. Crystals klare Stimme erhob sich über die Melodie, die die Harfe spann und entführte ihre Zuhörer in eine Zeit, in der das Leben einfach und bescheiden gewesen war; eine Zeit, in der das einfache Glück – die Felder zu bebauen, Tiere zu züchten oder Korn zu mahlen – genügt hatte. Eine Zeit, in der die Mittellande noch nicht in Baronien aufgeteilt waren, in der es keine Städte gegeben hatte und jeder Mensch dem Anderen ebenbürtig war. Eine Zeit, in der man die Bedeutung des Wortes Dieb nicht gekannt hatte, da die Menschen ohnehin teilten, was sie hatten.
    Crystal hatte ihre Augen geschlossen. Ihre Stimme wurde eindringlicher als sie von ihrem Schmerz sang – dem Schmerz darüber, dass diese Zeit verloren war. Thorben sah sich um. In Lady Lucias Augen schwammen Tränen und die Köchin wischte sich mit einem Zipfel ihrer Schürze über die Wangen. Die Botschaft des Liedes wurde offenbar gehört. Auch er konnte fühlen wie sein Herz schwer wurde und die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die er nicht erlebt hatte, Wurzeln schlug. Crystals Gesang näherte sich seinem Ende. Ihre Stimme wurde ernster, menschlicher, als sie daran erinnerte, dass diese Zeit noch nicht lange her war und dass sie zurückgewinnen mussten, was ihre Vorväter verloren hatten. Schließlich erstarb ihre Stimme und nur der Klang der Harfe blieb wie ein Leitfaden, der den Weg zurück in die Wirklichkeit wies. Schlanke Finger dämpften dann auch diesen Klang und Crystal hob den Kopf zu ihrem Publikum. Sie blinzelte leicht, als wäre sie eben aus einem Traum erwacht. Thorben fühlte wie sein Herz einen Satz machte. Sie konnte wahrhaftig die Menschen verzaubern!
    Die Lehre des Liedsangs war eine strenge Wissenschaft und die Form der Lieder immer die Gleiche – Bild, Klage, Mahnung. Doch er kannte niemand, der es so meisterhaft verstand die Vergangenheit lebendig werden zu lassen wie Crystal. Das Bild war das Kernstück jedes Liedes. Es gab unzählige Bilder – Texte und Melodien, die aus der Zeit der Lieder stammten; sie wurden von den Barden gesammelt und gelehrt. Klage und Mahnung wurden von dem jeweils Vortragenden selbst ersonnen.
    Thorben beobachtete wie Crystals weiße Finger zum Abschied zart über die Saiten der Harfe strichen. Er würde bekommen, was er wollte. War das nicht immer schon so gewesen?
     
    Crystal hatte sich leise zurückgezogen. Sie wusste, dass man ihr nun eine Weile Ruhe gönnen würde und so war sie auf einen der Balkone geflüchtet, um die Aussicht auf das Land zu genießen. Die Felder rund um die Burg standen in sattem Gold und wogten, so weit das Auge reichte, in der Abendsonne. Crystal atmete die kühle Luft in gierigen Zügen ein und wartete darauf, dass sich das gewohnte Gefühl der Niedergeschlagenheit legte, das sie jedes Mal erfasste, wenn sie eines der Lieder spielte, um derentwillen die Liedmeister so hoch geachtet waren. Die steinerne Brüstung unter ihren Fingern fühlte sich glatt und fest an, als Crystal gedankenverloren darüber strich. Hier war sie zu Hause und auch wenn die Burg nicht mehr war als ein Haufen Steine – ihr bedeutete sie alles. Crystal war hier aufgewachsen und die Steine waren voller Erinnerungen. Auf diesem Balkon hatte sie mit ihrer Mutter gesessen und ihr auf der Harfe vorgespielt, bis sie schließlich müde wurde und auf deren Schoß kroch. Im Innenhof hatte sie der Köchin geholfen Bohnen auszulösen und mitangesehen wie man ein Schwein schlachtete. Sie erinnerte sich noch an ihr eigenes Weinen, weil ihr das Tier so leid getan hatte. Gemeinsam mit Rhys hatte sie hier gespielt. Lächelnd erinnerte sie sich, dass er sie stets hatte gewinnen lassen, obwohl ihr um ein paar Jahre älterer Bruder sie leicht hätte besiegen können. Ob sie ein einfaches Bauernhaus genauso lieben würde, wenn sie als Bauerntochter auf die Welt gekommen wäre?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher