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Die letzten Tage

Die letzten Tage

Titel: Die letzten Tage
Autoren: Dana Kilborne
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Abschlussfeier der Polizeiakademie zeigte. Die Schlagzeile darüber lautete: „Tochter von verrücktem Geschichtsforscher bringt Morde mit mysteriösem Geheimbund in Zusammenhang. Geht die römische Polizei auf Phantomjagd?“
    Grazia spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Hilfe suchend blickte sie Tozzi an, der ihr nur mit einer ungeduldigen Geste zu verstehen gab, dass sie weiterlesen sollte.
    Sie amtete noch einmal tief durch und überflog dann widerwillig auch den Rest des Artikels. Mit seriöser Berichterstattung hatte dieses reißerische Machwerk nichts zu tun. Der Verfasser interessierte sich weder für die Morde noch für die Aufklärung dieser Verbrechen.
    „Die Polizei verschwendet wertvolle Zeit und Ressourcen darauf, den Fantasien einer jungen Beamtin nachzugehen, die erst kürzlich in den Dienst des ruhmvollen Dipartimento Cinque getreten ist“, stand dort geschrieben. „Es handelt sich um die zweiundzwanzigjährige Grazia Bassani, Tochter des schon vor Jahren spurlos verschwundenen Altertumsforschers Umberto Bassani, an den sich einige unserer aufmerksamen Leser vielleicht aufgrund seiner haarsträubenden Theorien erinnern, die ihn seinerzeit in die Schlagzeilen brachten.“
    Grazia hatte genug gelesen. Hier ging es nur darum, eine möglichst aufsehenerregende Story zu veröffentlichen – und dafür war die Vergangenheit ihres Vaters geradezu perfekt.
    Mit einem Seufzen ließ sie die Zeitung sinken. „Signore, ich weiß nicht, wie …“
    „Geschenkt!“ Tozzi winkte ab. „Wissen Sie, Bassani, ich unterstelle Ihnen keinesfalls, dass Sie solchem …“ Er nahm ihr die Zeitung ab, warf sie in den Papierkorb und machte dabei ein Gesicht, als hätte er ein widerwärtiges Insekt berührt „…, dass Sie solchem Schund absichtlich Vorschub leisten, aber durch Ihre Vergangenheit sind Sie für die Schmierfinken von der Presse ein leichtes Opfer – und die ganze Abteilung hat darunter zu leiden.“
    Grazia senkte den Blick. Würde das denn niemals enden? Eines musste sie ihrem Vater lassen: Es war ihm wirklich gelungen, sich bei den Menschen dauerhaft in Erinnerung zu bringen. Über zehn Jahre lag sein letzter publikumswirksamer Auftritt nun zurück, bei dem er sich in eine Pressekonferenz des römischen Bürgermeisters gedrängt hatte, um die Öffentlichkeit über seine Thesen zu informieren. Davor hatte er einmal vier Stunden einen lokalen Radiosender gekapert und mit einer Flugblattaktion die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
    Jetzt war er fort, und wer musste unter seinen verrückten Aktionen leiden? Sie, seine Tochter!
    „Es lag nie in meiner Absicht, irgendjemandem zu schaden.“
    „Das glaube ich Ihnen sogar, Bassani. Aber wenn Sie damit weitermachen, diese haarsträubenden Theorien zu verfolgen, werden die Leute eines Tages denken, dass Sie genauso verrückt sind wie …“
    „Wie mein Vater?“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. Tränen brannten in ihren Augen, doch sie kämpfte sie tapfer zurück. „Das ist es doch, was Sie sagen wollten, oder?“
    Tozzi seufzte. „Hören Sie, warum machen Sie nicht ein paar Tage Urlaub? Sie könnten …“
    „Nein!“, erwiderte Grazia energisch. „War das alles, Commissario? Dann würde ich jetzt gern wieder an die Arbeit gehen.“
    Sie verließ das „Aquarium“, ohne sich noch einmal umzublicken, und blieb erst stehen, als sie ihren Schreibtisch am anderen Ende des Großraumbüros erreicht hatte. Die teils neugierigen, teils hämischen Blicke ihrer Kollegen brannten wie feurige Speere in ihrem Rücken. Sie tat ihr Möglichstes, um sie zu ignorieren. Sollten sich die anderen doch die Mäuler über sie zerreißen, solange sie wollten!
    Nach allem, was in den letzten Wochen geschehen war, fing sie langsam an, sich zu fragen, ob ihr Vater tatsächlich so verrückt gewesen war, wie alle behaupteten. Fanatisch, wahnhaft, ja – aber verrückt? Sprachen die winzigen tätowierten Rosen auf den Handgelenken der drei Ermordeten und die Art und Weise, auf die sie getötet worden waren, nicht für die Theorien ihres Vaters?
    Und selbst wenn? Macht ihn das zu einem besseren Menschen – einem besseren Vater?
    Nein! beantwortete sie sich ihre Frage selbst und stürzte sich in die Arbeit.
    Lustlos stocherte Grazia eine ganze Weile in ihrem Insalata Mistaherum, ehe sie schließlich die Gabel beiseitelegte und einen großen Schluck Mineralwasser trank.
    Seit sie beim Dipartimento Cinquearbeitete, verbrachte sie ihre Mittagspause fast immer in demselben
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