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Die letzten Kinder von Schewenborn

Die letzten Kinder von Schewenborn

Titel: Die letzten Kinder von Schewenborn
Autoren: Gudrun Pausewang
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Hause in Bonames gab es das nie. Wir aßen fast das ganze Glas leer, ohne Brot. Wir waren ziemlich sicher, daß an einem Ausnahmetag wie diesem niemand wegen eines bißchen Gelees mit uns schimpfen würde. Natürlich aßen wir auch Brot. Das belegten wir mit dicken Wurstscheiben, vom Selbstgeschlachteten. Kerstin lachte wieder. Beiläufig fragte sie zwischendurch mal nach der Mutter.
    Eine Viertelstunde später kam der Vater gelaufen und trieb uns Hals über Kopf wieder aus dem Haus. In der Straße war Feuer ausgebrochen. Der Wind wehte in unsere Richtung. Wir flüchteten in den Schloßpark. Judith schleppte den einen Koffer, ich den anderen. Kerstin trug Mutters Tasche. Die Mutter hatte sie auf dem Fensterbrett vom Küchenfenster vergessen.
    Ich ließ Judith und Kerstin bei den Koffern im Schloßpark und rannte zurück, um dem Vater zu helfen. Der hatte angefangen, die Wohnung der Großeltern auszuräumen. Auch Frau Kramer warf ihren Hausrat aus dem Fenster. Schon stapelten sich Großvaters und Großmutters und Frau Kramers Matratzen, Stühle, Federbetten, Kleider samt Kleiderbügeln hinter Großvaters Werkstatt auf Frau Kramers Blumenbeeten. Wir schleppten und schleppten. Wir schufteten wie die Irren. Über uns wälzte sich der Rauch der brennenden Häuser, stoben Funken durch die Luft. Von überall her tonte Geschrei. Oben jammerte Frau Kramer, schräg gegenüber klagte Frau Malek.
    Es blieb gar keine Zeit, an irgend etwas zu denken. Das Feuer rückte näher. Drei Häuser brannten schon in unserer Gasse. Auch die Nachbarn räumten ihre Häuser aus. Oberhalb vom Südtor, auf dem Hang zum Marktplatz hinauf, standen ganze Häuserreihen in Flammen, und auch aus den Neubauvierteln drüben am Eichholz stieg Rauch auf. Ab und zu dröhnte es: Heizöltanks explodierten. Dichter Qualm lag über der ganzen Stadt, der langsam nach Osten abzog. Man konnte kaum atmen.
    Wir hatten Glück im Unglück: Nur der Dachstuhl wurde an einer Seite durch den Funkenflug angesengt. Da drehte sich plötzlich der Wind, wehte vom Norden her und trug die Funken zurück in die Trümmer der bereits ausgebrannten Häuser. Der Vater kletterte auf den Dachboden und erstickte das Feuer, wo es noch in den Balken schwelte. Dabei stellte er fest, daß sich große Risse durch die Mauern zogen. Frau Kramers Wohnung war nicht mehr bewohnbar. Die Decke konnte jeden Augenblick einstürzen.
    Das Feuer griff südlich von unserer Straße weiter um sich, obwohl der Wind gegen Abend ganz einschlief. Noch bis zum nächsten Morgen sollte es dauern, bis der letzte Brand in Schewenborn erloschen war.
    Am späten Nachmittag begannen wir, die Wohnung der Großeltern wieder einzuräumen. Jetzt half auch Judith mit, während Kerstin in Großvaters Werkstatt bleiben mußte, wo Sie vor Wut und Langeweile brüllte. Das Einräumen ging sehr langsam, und bei manchen Möbeln konnten wir uns nicht mehr erinnern, wo sie gestanden hatten. Auch die gerahmten Fotos und die Wandvasen und die Topfblumen gerieten in Unordnung. Als wir endlich alles wieder drin hatten - die schweren Möbel hatten wir sowieso im Haus stehen lassen müssen -, kamen uns die Räume fremd vor. Es war ja auch alles verrußt und roch nach Rauch. Durch die scheibenlosen Fenster drang Brandgeruch, und die Vorhänge bewegten sich in der Zugluft. Der Vater ließ Judith ein Abendessen richten, dann schickte er uns zu Bett. Ich schlief in Großvaters Bett, Judith in Großmutters, und Kerstin schlief zwischen uns. So zu dritt fühlten wir uns sicherer in all dieser Unsicherheit und dem nächtlichen Haus, in dem es kein elektrisches Licht mehr gab. Der Vater aber aß so gut wie nichts und ging auch nicht schlafen. Er wartete in der dunklen Küche auf die Mutter.
    Sie kam erst spät in der Nacht. Ich schlief schon, Kerstin auch. Aber Judith hatte sie kommen hören. Sie weckte mich, und wir stürzten beide voller Freude in die Küche.
    Aber wir prallten zurück: Da hing ein schwarzgesichtiges, schmutziges Wesen an Vaters Hals und weinte laut, und nur an der Stimme erkannten wir unsere Mutter. Sie sah aus, als hätte sie sich in Asche gewälzt. Als sie uns kommen hörte, warf sie den Kopf herum und schrie: »Geht raus! Geht sofort ins Bett. Geht weg - hört ihr?«
    Wir waren wie vor den Kopf geschlagen und schlichen verstört zurück ins Schlafzimmer. Es war eine helle Nacht. Ich konnte Judiths Gesicht erkennen.
    »Was hat sie?« flüsterte ich, nachdem wir die Tür geschlossen hatten.
    Judith hob die Schultern und
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