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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
Autoren: Paul Hoffman
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Zaun brechen zu können. In Wirklichkeit ging es ihm aber einzig und allein darum, Cale wieder in die Ordensburg zurückzuschaffen. Da es nun einmal das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen gibt, wurde Boscos verzweifelt kämpfende, von Krankheiten geschwächte Armee unter der Führung des Erlösermönchs General Princeps bei Silbury Hill von einer Materazzi-Armee eingekesselt, die Boscos Truppen dreifach überlegen war. Es entwickelte sich eine Schlacht, die Cale ungläubig verfolgte, der aus Gründen, die zu erklären hier zu weit führen würde, die Angriffspläne für beide Heere entwickelt hatte, und die durch die Mischung von Pech, Verwirrung, Schlamm, Matsch, Torheit und einem völlig falschen Verständnis für die Bewegungsmöglichkeiten großer Menschenmengen auf engem Raum zu einer der tödlichsten Schicksalswenden in der Geschichte der Kriegsführung gezählt werden muss.
    Zu seiner eigenen Verblüffung sah sich Bosco plötzlich als Eroberer von Memphis und im Besitz der höchsten Güter, die die Welt zu bieten hatte– ausgenommen der einen Person, die er mit dieser Aktion eigentlich hatte ergreifen wollen: Thomas Cale. Aber Bosco rührte schon seit geraumer Zeit seinen Finger im übelsten Gebräu, das Memphis zu bieten hatte und das sich im Besitz des entsetzlichen, windigen Geschäftemachers und Zuhälters Kitty dem Hasen befand. Kitty wusste, dass Cale sein so fürchterlich unerfahrenes Herz an die schöne Arbell verloren hatte, außerdem hatte er bald entdeckt, dass ihre intensive Leidenschaft für diesen höchst seltsamen jungen Mann allmählich ausbrannte– und das sei doch eine höchst seltsame Entwicklung, wie Kitty gern spottete, wenn man bedenke, wie heiß die Flamme ihrer Leidenschaften ursprünglich gelodert habe. Umso besser für Bosco, dessen Mönche Arbell inzwischen gefangen genommen hatten. Kaum in Memphis angekommen, brachte Bosco seine ungeheure Begabung für das Manipulieren von Mitmenschen zum Einsatz, das viel zu weit entwickelt war, als dass ihm eine schöne, junge Prinzessin, so intelligent sie auch sein mochte, viel entgegenzusetzen gehabt hätte: Er drohte ihr ausgesprochen überzeugend, die Stadt zu zerstören, wenn sie ihrer Liebe nicht abschwor. Gleichzeitig versicherte er ihr, und zwar völlig aufrichtig, dass er keine Absicht hege, Cale Schaden zuzufügen. Und so verriet sie Cale, wenn man es denn Verrat nennen konnte, aber wie es dabei um ihr Gewissen bestellt war, ist schwer zu sagen. Und so wiederum stellte sich Cale, wobei er als zusätzlichen Preis die Freilassung von Vague Henri und Kleist erreichte– nur um dann entdecken zu müssen, dass er von der Frau, die er über alles auf der Welt liebte, dem Mann ausgeliefert worden war, den er über alles auf der Welt hasste. Das wiederum bringt uns nun zum letzten Vers des oben zitierten Lieds von Thomas Cale, in dem sich unser Held auf dem Weg in die Wildnis befindet, wobei zwei Hassgeschwüre an seinem Herzen nagen. Das erste Hassgefühl empfindet er gegenüber der Frau, die er einst liebte. Das andere Hassgefühl, ihm sehr vertraut, richtet sich gegen den Mann, der Cale eine neue Wahrheit über sich selbst klargemacht hatte, die ihm fast den Verstand raubte: Bosco, der ihm befohlen hatte, damit aufzuhören, sich ständig selbst zu bemitleiden, weil er gar keine richtige Person sei, die man lieben oder verraten könne, sondern nichts weiter als der Engel des Todes– wie das Lied uns von Anfang an bewusst zu machen versucht. Und dass es nun höchste Zeit sei, dass sich Cale um die Geschäfte seines Gottes kümmerte.
    Von hier an ist alles, was folgt, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
    Es gibt höhere Berge als den Tigerberg, viele sind gefährlicher zu besteigen, und es gibt Berge, deren schiere Höhe und furchtbaren Abgründe so lebensfeindlich sind, dass sie jeden bis ins Mark erschüttern. Aber es gibt kein anderes Gebirge, das eindrucksvoller wäre, keines, das den Geist stärker beflügelte, das ein solches Staunen über seine erhabene Einsamkeit auslöste. Wie ein perfekt gestalteter Konus wächst der Berg aus der Tamarischen Ebene empor, die ihn fast völlig umgibt und sich bis weit in die Ferne erstreckt, sodass seine majestätische Symmetrie aus fünfzig Meilen Entfernung wie ein menschliches Kunstwerk erscheint. Kein Mensch hätte jedoch einen so riesigen Berg schaffen können, nicht einmal die egoistischsten Menschen und auch nicht ein Echnaton oder ein Ozymandias. Aus größerer Nähe enthüllt sich
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