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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
Autoren: Paul Hoffman
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anhielten; es folgte eine Ruhepause, dann wieder ein Anfall, noch mehr Essen und Erschöpfungsschlaf. Und der Kreislauf begann von Neuem.
    Sie riefen Ärzte herbei, die ihm enorm teure Beruhigungs- und Betäubungsmittel verschrieben, die sich Cale jedoch weigerte einzunehmen. In ihrer Verzweiflung riefen sie schließlich auf Vague Henris Vorschlag John Bradmore zu Hilfe.
    Bradmore setzte sich ein oder zwei Stunden lang in Cales Zimmer und verabreichte ihm ein wenig Honig, gemischt mit Wein und Opium. Das Elixier schien ihn tatsächlich für eine Weile zu beruhigen, bis er zum ersten Mal alles in einem großen Spuckanfall über den Boden erbrach.
    Später besprachen sich IdrisPukke, Vipond und Vague Henri vor Cales Zimmer mit Bradmore.
    »Ich kann nur sagen, dass er zwar furchtbar krank ist, aber körperlich fehlt ihm nichts. Was Ihr mir sagt, bedeutet, dass es ihm im Laufe der Tage weder besser noch schlechter geht. Wenn Ihr ihn bezahlen könnt, würde ich versuchen, Robert von Salerno zu rufen.«
    »Aber Salerno liegt fünfhundert Meilen entfernt!«
    »Doch das Geld liegt hier, und deshalb wohnt er hier in Spanish Leeds und behandelt die irren Weiber der Aristokratie und der Händler, und der Himmel weiß, dass es genug davon gibt.«
    »Er ist keine Frau.«
    »Er ist auch nicht krank, jedenfalls hat er keine Krankheit, die ich behandeln könnte. Robert von Salerno mag ein Querulant und ein äußerst unangenehmer Geselle sein, außerdem ist er völlig von sich überzeugt, aber bei Leuten, die krank im Kopf sind, erzielt er gute Erfolge.«
    »Bradmore hat Recht«, sagte Robert von Salerno am nächsten Tag, als er vor Cales Zimmer mit ihnen über den Patienten sprach. »Das liegt außerhalb seiner Künste. Dafür gibt es auch keine genialen Apparate.«
    »Ich danke Euch. Kommt bitte zur Sache.«
    Robert Salerno hatte hundert Dollar in der Tasche, die von Kitty dem Hasen stammten, und ließ sich daher nicht so leicht beleidigen, wie es normalerweise der Fall war– und normalerweise war er wirklich sehr leicht zu beleidigen.
    »Wisst Ihr, wo Ihr das beste Abbild der menschlichen Seele finden könnt?«
    »Ich bin sicher, dass Ihr es mir gleich erklären werdet.«
    »Für hundert Dollar erkläre ich Euch noch ganz andere Sachen. Das beste Abbild der menschlichen Seele, Meister IdrisPukke, ist der menschliche Körper. Auch die Seele hat ihre Nieren und Leber, ihren Magen, ihre Arme und Beine. Und ihre Glieder und Organe erkranken ebenfalls an sämtlichen Krankheiten. Sie kann an verschiedenen Arten von Fieber erkranken, genau wie der Körper, Scharlach, Gelbfieber, und für jede Form, die sich in Hautausschlägen äußert, gibt es eine entsprechende Erkrankung der Seele. Auch sie hat verhärtete oder eiternde Abszesse, und es gibt viele Geschwüre des Verstands und Leidenschaften, die vom Krebs zerfressen werden.«
    »Das verstehen wir alles«, erwiderte Vipond. »Und was ist mit dem Jungen?«
    »Ich glaube, Ihr wisst genauso gut wie ich, was ihm fehlt. Diesem jungen Mann zufolge«– er deutete auf Vague Henri– »seid Ihr mit seiner Geschichte bestens vertraut. Er wurde sein ganzes Leben lang wie ein Hund behandelt, geschlagen, getreten, von bösen Männern mit miserabler Nahrung versorgt. Er hat entsetzliche Dinge gesehen und getan.«
    »Warum ist mir nicht dasselbe passiert?«, wollte Henri wissen.
    »Wer sagt, dass es Euch nicht passieren wird? Ich habe Städte gesehen, in denen die Beulenpest drei Viertel der Bevölkerung dahingerafft hatte, aber der Rest blieb verschont. Wer kennt die Antwort auf diese Fragen?«
    »Hundert Dollar in der Tasche sollten eigentlich dafür sorgen, dass Ihr sie kennt.«
    »Meine Amme sagte immer: ›Der Arzt, der diesen Jungen heilen kann, muss erst noch geboren werden, und seine Mutter lebt nicht mehr.‹ Euer Junge ist wie einer dieser Bergbäume, die dem ständigen harten Wind trotzen. Sie werden von ihm geformt. So ist es bei dem Jungen, und Ihr könnt ihn nicht mehr umformen.«
    »Und was sollen wir jetzt tun? Nichts?«
    Robert von Salerno seufzte. »Behandelt ihn milde. Lasst nicht zu, dass ihm irgendwelche schmerzhaften Behandlungen zuteilwerden. Es gibt viele, die Euch versprechen werden, ihn mit harten Behandlungsmethoden wieder gesund machen zu können. Lasst es nicht zu. Sie würden ihm Löcher in den Schädel sägen, würden ihn einen Tag lang in einen Bottich mit eiskaltem Wasser setzen, würden ihm Tinkturen verabreichen, die ein Pferd umbringen könnten. Eure Liebe könnt
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