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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
Autoren: Paul Hoffman
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werde von niemandem mehr geachtet werden.«
    Sie seufzte und schwieg eine Weile.
    »Ich weiß, was du bist– mutig, geschickt, kühn.« Noch mehr Schmeicheleien, die nötig waren– und stimmten. »Aber er ist nicht…«, sie suchte nach dem richtigen Wort, aber es kam ihr nicht in den Sinn, »…nicht normal. Er bringt nicht die Katastrophe, sondern er ist die Katastrophe. Sein Freund Kleist– der ihn übrigens nie mochte– sagte einmal, dass Cale nur lauter Begräbnisse im Kopf habe. Und das stimmt.«
    »Wie soll jemand ohne Achtung weiterleben? Was für einen Sinn hätte das denn?«
    Sie seufzte noch einmal, bewegte ihren steif gewordenen Hals hin und her und stöhnte leise. Schau dich doch nur mal an, dachte sie, fett wie die leibhaftige Fressgier. »Wird das alles jemals enden?«, sagte sie laut und schaute ihren Mann von der Seite her an. »Du verdankst ihm dein Leben.«
    »Ja.«
    »Wie kannst du ihn dann ehrenhaft töten? Wäre es nicht besser, überall zu verkünden, wie mutig er sich verhalten hatte? Und noch mehr: Lobpreise seinen Mut, sodass die Leute dich mehr bewundern als ihn. Mach allen klar, dass du unauflösbar in seiner Schuld stehst, dann wird dich jeder dafür loben, dass du weggehst, wenn er dich provozieren will. Welcher Mut! Welch wahre Ehrenhaftigkeit– Conn Materazzi hätte jederzeit kämpfen können und diese Ehrenhaftigkeit aufs Spiel setzen können, nur um ehrenhaft zu bleiben. Und das stimmt doch schließlich, du hast es ja selbst gesagt.«
    »Würde er dann nicht einen Ruf gewinnen?« Darüber musste er erst einmal in Ruhe nachdenken: War das tatsächlich ein ehrenhafter Einwand, der unter diesen Umständen zu rechtfertigen wäre? »Einen Ruf, besonders mutig zu sein?«
    »Mach dir darüber keine Gedanken«, antwortete Arbell. »Er wird ohnehin bald sämtliche guten Meinungen verderben, die man von ihm hat. Er glaubt, dass es unter seiner Würde ist, von Menschen bewundert zu werden, die er verachtet– und er verachtet grundsätzlich jeden.«
    »Du bist sehr klug.«
    »Ja, das bin ich.« Sie drückte seine Hand. »Und jetzt geh und lass mich schlafen.«
    Er stand auf und stieß mit dem Kopf heftig an die Decke. »Autsch!«
    Sie stöhnte mit ihm auf, aber es war klar, dass er sich nicht verletzt hatte. Sie versuchte sogar aufzustehen, um ihm ei nen Kuss zu geben– keine einfache Sache. »Bleib sitzen«, sagte er.
    Das brauchte er ihr nicht zweimal zu sagen. »Wenn es dir nichts ausmacht.« Er bückte sich und küsste sie leicht auf die Lippen. Dann ging er mit übertrieben gespielter Vorsicht zur Tür und verließ den Raum. Sie ließ sich in eine bequemere Haltung auf dem Sofa gleiten, wand sich eine Weile hin und her, um ihren schmerzenden Rücken zu entlasten, und wartete noch zehn Minuten, bevor sie sich die Mühe des Aufstehens machte, um zu Bett zu gehen. Schließlich schloss sie die Augen und genoss die Stille und den Frieden.
    Und dann kam aus einer dunklen Ecke eine leise Stimme:
    »Du bist immer noch von mir besessen.«
    Manche glauben, die Welt werde einst in Eis erstarren. Wenn das je geschah, würde es sich wohl so ungefähr anfühlen wie der Schauder, der die feinen Nackenhaare der werdenden Mutter erstarren ließ. Sie bewegte sich so schnell es ihr schmerzender Rücken und ihr enormer Körperumfang erlaubten, und fuhr beim Klang seiner Stimme herum. Cale trat in den Kerzenschein.
    »Falls du es wissen möchtest– ich habe alles gehört, was ihr miteinander besprochen habt.« Damit legte er den Finger genau auf den besorgten Gedanken, der ihr durch den Kopf ging. »Und es war nicht besonders nett.«
    »Ich schreie«, drohte sie lahm.
    »Würde ich nicht, wenn ich du wäre. Es würde für alle schlecht ausgehen, die dir zu Hilfe kommen.«
    »Du erwartest doch nicht von mir, dass ich mich klaglos umbringen lasse?«
    »Gott, nein. Ich erwarte nicht mal von dir, dass du dir klaglos die Haare bürsten lässt.« Das war nicht fair, denn sie war kein verwöhntes Püppchen. »Jammert, so viel Ihr wollt, Prinzessin, aber tut es leise.«
    »Du willst mich töten?«
    »Ich überlege, ob ich dich töten soll.«
    »Ich weiß, dass du glaubst, ich hätte dich beleidigt, aber hat dich auch mein Kind beleidigt?«
    »Genau deshalb überlege ich es mir noch.«
    »Es ist deins.«
    »Das behauptest du nur.«
    »Es ist wahr.«
    »Wahr ist, dass ich dir zweimal das Leben gerettet habe. Wahr ist, dass du mir geschworen hast, mich mehr zu lieben als…« Er lächelte, aber es war kein
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