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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur
Autoren: Charlotte Link
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würde sich die Belegschaft des Restaurants erinnern. Ich musste in die Offensive gehen. Also meldete ich mich selbst bei der Polizei, praktisch zeitgleich mit meinem Nachbarn. Ich erzählte die ganze Geschichte, aber natürlich mit einem anderen Ausgang. Du kennst ja meine Variante.«
    »Und du warst nicht ungeschickt im Ausschmücken. Denn ich nehme an, den geheimnisvollen Freund , von dem Elaine dir angeblich erzählt hat, hattest du erfunden?«
    »Ja«, gab er zu. »Ich wollte die Theorie untermauern, dass Elaine wirklich durchgebrannt sei. Die Polizei war auch sehr schnell von dieser Theorie überzeugt. Dazu trug übrigens auch Geoffrey Dawson selbst bei. Er tyrannisierte die Polizei dermaßen mit seiner Hysterie, dass irgendwann jeder dort glaubte, Elaine könne niemals vorgehabt haben, freiwillig zu ihm zurückzukehren. Jeder verstand nur zu gut, dass sie es vorgezogen hatte, mit ihrem Liebhaber auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.«
    »Man hätte Leichenspuren in deinem Auto feststellen können.«
    »Niemand sah einen Sinn darin, mein Auto zu untersuchen. Ich hatte ja zugegeben, dass Elaine darin gefahren war. Wie ich auch zugegeben hatte, dass sie in meinem Haus gewesen war. Ich war offen und kooperativ. Die Polizei erklärte mich zu keinem Zeitpunkt offiziell für verdächtig. Die Presse allerdings tat es, weil Dawson gegen mich hetzte und man dort eine Story brauchte. Das hatte natürlich eine fatale Wirkung auf Josh. Dass ich dieses Mädchen mitgenommen hatte, bestätigte ja, was Jacqueline ihm ständig über mich erzählte. Wahrscheinlich hätte alles nicht schlimmer kommen können, wenn ich von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte. Wenn ich in jener Nacht gleich Polizei und Krankenwagen gerufen und alles genau geschildert hätte. Denn auch so verlor ich meinen Sohn, meinen guten Ruf und zumindest teilweise meine Karriere. Aber«, er hob bedauernd die Schultern, »man blickt eben nicht in die Zukunft.«
     
    9
     
    Als sie am Anlegesteg ankamen, sprang Marc vom Schiff, zog es dicht an den Steg heran und vertäute es dort sorgfältig. Dann half er Rosanna, die in ihrer Betäubung zu kaum einer vernünftigen Handlung mehr fähig war, an Land. Als sie neben ihm stand, betrachtete er sie prüfend. Sie zitterte leicht.
    »Du bist völlig fertig«, sagte er, »und ich habe den Eindruck, dein Fieber steigt wieder. Hör zu, sei vernünftig, geh hoch zum Parkplatz, setz dich ins Auto und warte dort auf mich. Ich versorge das Schiff, und dann komme ich nach.«
    Sie fühlte sich zu elend, um sich gegen diesen Vorschlag zu wehren. Sie wäre gern bei Marc geblieben und hätte ihm tausend Fragen gestellt, aber sie spürte, wie wackelig sie auf den Beinen war, und dass ihre Stirn glühte. Die Schifffahrt durch den kalten Wind über der Themse würde ihrer Gesundheit den Rest geben. Ganz zu schweigen von dem, was sie dort draußen erfahren hatte.
    »Okay«, sagte sie leise.
    Er zog sie für einen Moment an sich. Seine Umarmung fühlte sich an wie immer: stark, tröstlich und liebevoll. Und dennoch traf Rosanna in diesem Augenblick fast schmerzhaft die Erkenntnis, dass sie keine Wärme mehr fand in seiner Umarmung. Jetzt jedenfalls, und vielleicht nie wieder.
    Langsam stieg sie den Abhang hinauf. Einmal wandte sie sich um, aber Marc bemerkte ihren Blick nicht, er war auf dem Schiff beschäftigt.
    Er hat sie nicht umgebracht, sagte sie sich, insofern muss ich meine Einschätzung, dass er kein Verbrecher ist, nicht revidieren. Es ist einfach ein Unglück passiert. Ein Unglück, das weder von ihm noch von Elaine vorhergesehen werden konnte. Solche Dinge passieren.
    Aber sie wusste gleichzeitig, dass solche Dinge für gewöhnlich nicht vertuscht wurden. Menschen kamen ums Leben, weil sie unglücklich stürzten, die falschen Tabletten schluckten oder im Swimmingpool ertranken, aber niemand schaffte sie danach auf ein Schiff und versenkte sie auf dem Grund eines Flusses. Und spielte der gesamten Umwelt ein großes Theater vor.
    Aber war das ein Verbrechen?
    Sie langte beim Auto an und stellte fest, dass ihr Atem keuchend ging. Nur wegen dieser kurzen Steigung. Sie musste wirklich sehr angeschlagen sein.
    Der Wagen war nicht verschlossen. Sie öffnete die Beifahrertür, sank auf den Sitz, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Sie war völlig erschöpft, sehnte sich nach einem Bett, in dem sie sich verkriechen, in dem sie Wärme und Ruhe finden konnte. Aber in ihrem Innern vibrierte sie zugleich, war überwach und
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