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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur
Autoren: Charlotte Link
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behauptet hatte, ihre ehemalige Zimmergenossin erkannt zu haben.
    »Die ist seit Anfang März verschwunden! Ohne ein Wort zu sagen. Kam plötzlich nicht mehr wieder. Und jetzt sehe ich sie auf einmal in der Zeitung!«
    Fielder hatte wissen wollen, weshalb Miss Kearns das Verschwinden ihrer Freundin nicht angezeigt habe, doch er hatte nur ein Schulterzucken als Antwort bekommen. Er konnte sich den Grund denken: Lil Kearns war auf einen näheren Umgang mit der Polizei alles andere als erpicht. Als Drogenabhängige war sie vermutlich in kriminelle Aktivitäten verstrickt, oder sie kannte zumindest genügend Leute, die sich in der Verbrecherszene bewegten. Sie hatte keine Lust, plötzlich selbst in irgendeinem Schlamassel zu stecken.
    Obwohl sie behauptete, das Bild ihrer Freundin erst jetzt in einer alten Zeitung entdeckt zu haben, vermutete Inspector Fielder, dass sie schon über einen längeren Zeitraum hinweg Kenntnis davon gehabt hatte. Sie hatte einigen Anlauf gebraucht, den Weg zu einem Polizeirevier zu wagen. Immerhin aber, sie hatte es getan. Er hatte kein Interesse daran, ihr an den Karren zu fahren. Ihm ging es lediglich um Informationen zur Person des Opfers.
    Leider wusste Lil nicht viel zu sagen. Während sie in dem kleinen Zimmer der Gerichtsmedizin stand, an ihrer Zigarette zog und nervös auf ihren halsbrecherisch hohen Absätzen wippte, zählte sie auf, was sie wusste.
    »Jane French. Stammt aus Manchester. Ich glaube, nur ihre Mutter lebt noch. Ist vor drei Jahren nach London gekommen. Wollte Karriere machen!« Sie betonte das Wort Karriere in einer Art, dass es fast obszön klang. »Na ja, unter uns, in Wahrheit wollte sie einen netten Typen kennen lernen. Irgendeinen Kerl, der sie heiratet und ihr ein besseres Leben bietet als das, was sie hatte. Sie hat mal diesen Job, mal jenen gemacht … keine Ahnung, was genau. Schließlich stellte sie sich an den Straßenrand. Hatte nichts mehr zu beißen und kein Dach über dem Kopf. Ich hab sie noch angemotzt. Weil es mein Revier war.«
    »Wann war das?«, hakte Christy McMarrow ein.
    »Vor'm Jahr etwa. Hatte dann Mitleid. Sie durfte bei mir einziehen. Wir sind zusammen anschaffen gegangen.«
    »Für wen?«
    Lil blitzte Christy an. »Für niemanden! Ich liefere nicht mein Geld bei irgendeinem miesen Zuhälter ab! Jane und ich waren unabhängig.«
    »Und im darauffolgenden März verschwand sie?«
    »Ja. Tauchte plötzlich nicht mehr auf. Ich komme nachts zurück, sie ist nicht da. Nicht ungewöhnlich. Aber, na ja, sie kam dann eben nie mehr wieder!« Sie warf die Zigarettenkippe auf den Linoleumboden, trat sie aus. »Aber seit März ist sie nicht tot, oder?«
    »Nein«, sagte Fielder, »wie gesagt, nicht länger als inzwischen drei Wochen.«
    »Komisch. Wo war sie denn in der Zeit dazwischen?«
    Das hätte Inspector Fielder auch gern gewusst, aber es sah nicht so aus, als könne Lil Kearns ihnen in dieser Frage weiterhelfen.
    »Kennen Sie Freunde von ihr? Bekannte? Irgend jemanden, mit dem sie Kontakt hatte?«
    »Nein. Da gab's, glaube ich, auch niemanden. Obwohl … einmal hab ich gedacht …« Sie sprach nicht weiter.
    »Ja?«, hakte Inspector Fielder nach.
    »Das war im Januar ungefähr. Da hab ich sie mal gefragt, ob sie jemanden kennen gelernt hat. Näher. Weil sie auf einmal besser angezogen war.«
    »Was genau heißt, besser angezogen?«
    »Na ja, schon noch …«, sie grinste, »schon noch. Berufskleidung. Sie wissen schon. So wie ich. Aber irgendwie … bessere Qualität. Teurer. Als ob sie plötzlich einfach mehr Kohle gehabt hätte.«
    »Und sie gab Ihrer Ansicht nach dabei nicht das Geld aus, das sie selbst verdiente?«
    »Nee. Ich kriegte ja mit, was sie verdiente. Das reichte im Grunde vorn und hinten nicht.«
    »Sie meinen, sie hatte einen Freund, der ihr Geschenke machte?«
    »Hab ich vermutet, ja. Aber sie stritt das ab. Ich hab auch nicht groß weitergefragt. War mir letztlich egal.« Fielder seufzte. Sie waren insofern weitergekommen, als die Tote nun einen Namen, eine Identität hatte. Leider aber schien der Fall an dieser Stelle zu stagnieren. Lil Kearns führte selbst einen so erbarmungslosen Überlebenskampf, dass sie auf ihre Zimmergenossin nur sehr am Rande hatte achten können. Sie steckte längst in einer Situation, in der ihr andere Menschen egal waren, es sei denn, sie finanzierten ihr den nächsten Schuss.
    »Sie haben uns sehr geholfen, Miss Kearns«, sagte er dennoch, »vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«
    »Ja, klar … ich
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