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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Professor. »Das ist meinem Blick wohl entgangen.«
    »Das ist Ihrem Blick also entgangen.«
    »Ich habe es übersehen, guter Mann.«
    »Soso, übersehen.« Der Auerochse zündete sich eine filterlose Zigarette an. Woher die gekommen war, wusste Bietigheim nicht. Anscheinend konnte man sie hier einfach aus der Luft greifen. Der Bursche sog daran, und im Nu verwandelte sich ein Drittel davon in Asche. Es war beängstigend.
    »Jawohl, übersehen«, bestätigte Bietigheim. »Ich war nämlich in Gedanken versunken.«
    »Sie wollen mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass Sie keinen blassen Schimmer haben, wo Sie hier stehen?«
    »Natürlich weiß ich das!« Er nahm etwas Erde in die Hand. »Der Boden besteht aus einer lehmig-kalkigen Rendzinaschicht. Ich mag ja einen Schluck Wein getrunken haben, doch mein Denkvermögen ist davon gänzlich unbeeinträchtigt.«
    Jetzt kam der Auerochse näher und blies Bietigheim den Rauch seiner Zigarette ins Gesicht. Es brannte in den Augen. Eine Selbstgedrehte mit billigem Tabak. Widerlich.
    »Das hier, guter Mann, ist der teuerste Weinberg der Welt. Romanée-Conti, nie gehört?« Er zupfte Bietigheim am Ohr. »Für eine Flasche bezahlt man locker tausend Euro – aber nur, wenn man noch ein Dutzend anderer Weine des Gutes dazukauft.«
    »Benno, komm mal her«, sagte Bietigheim, dem viel an Aufklärung gelegen war. »Du hast dein Geschäft gerade in der Lage Romanée-Conti verrichtet.«
    Benno blickte ihn stolz an.
    »Das mag man hier nicht«, erklärte Bietigheim.
    Benno setzte sich in Position für ein Häufchen.
    »Benno von Saber, ich darf doch sehr bitten!«
    Bietigheim hob ihn über die kleine Mauer.
    Der Auerochse telefonierte nun, wobei das Gespräch fast nur aus Grunzen bestand. Dann verstaute er sein Handy wieder in der Hosentasche.
    »Dann fahr ich mal wieder«, sagte Bietigheim.
    Doch der Mann hielt das professorale Fahrrad fest umklammert. »Sie fahren nirgendwohin!«
    »Sie wollen mich meiner Freiheit berauben?«
    Keine Antwort. Na gut, dachte Bietigheim, dann beende ich wenigstens in aller Ruhe mein Picknick. Und dem Auerochsen würde er nichts davon anbieten!
    Nach rund zehn Minuten öffnete dieser erneut den Mund. »Da kommt er ja endlich!« Er hob die Hand zum Gruß. »Salut, Benoit!«
    Der Neuankömmling war ein Polizist, was unschwer an seiner tadellos sitzenden Uniform zu erkennen war. Ein junger, drahtiger Mann, dessen dünner Schnauzbart so exakt aussah, als wäre er angemalt.
    »Salut, Claude. Ist er das?«
    Der Auerochse mit Namen Claude nickte grimmig.
    »Und dieser Hund …?« Benoit wagte es nicht auszusprechen.
    Claude schenkte ihm ein weiteres entschlossenes Nicken, das er geschickt mit einem völliges Unverständnis signalisierenden Kopfschütteln verband. Mit ernster Miene wandte sich der Gendarme an Bietigheim.
    »Was führt Sie zu uns, Herr …?«
    »Professor Dr. Dr. Adalbert Bietigheim. Ich habe leider wenig Zeit, ein ganz dringender Termin, es pressiert.«
    »Aber nicht doch, Herr Professor. Wir sind doch noch gar nicht komplett. Der Eigentümer des Weinberges, in den Ihr Hund uriniert hat, wird gleich zu uns stoßen.«
    »Das ist doch nun wirklich nicht nötig.«
    »Und ob das nötig ist!«, ließ sich Claude vernehmen und trat seine Zigarette wütend auf dem Weg aus. Nur um sich sogleich eine neue anzuzünden.
    Bietigheim musste wohl einiges klarstellen.
    »Hören Sie, ich bin Deutschlands einziger Inhaber eines Lehrstuhls für Kulinaristik. An der Universität der Hansestadt Hamburg! Meinen Sie bloß nicht, es wäre einfach gewesen, solch einen Lehrstuhl ins Leben zu rufen und aufrechtzuerhalten. Die Kollegen belächelten mich anfangs, Kulinaristik wäre keine Wissenschaft, haben sie gespottet, doch ich habe es all diesen Unkenrufern gezeigt. Das Bundesverdienstkreuz haben die für ihre Arbeit nicht erhalten, ich hingegen sehr wohl! Aber ich schweife ab.« Bietigheim räusperte sich. »Mir geht es um die Bewahrung des kulinarischen Erbes, weltweit. Ich lebe im Dienst von Räucherwurst, Weinbergschnecken und geharztem Wein. Denn nicht Theater oder Malerei sind es, die unsere Kultur im Kern zusammenhalten, nein, es sind Speis und Trank, meine Herren, das ist die Kultur, die jeden von uns, im wahrsten Sinne des Wortes, durchdringt. Deshalb, Sie haben es ja bereits bemerkt, spreche ich auch fließend Französisch, wie auch Italienisch, Englisch, Spanisch, Altgriechisch und ein wenig Japanisch. Wie sollte ich sonst etwas über die Feinheiten der
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