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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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recht in der Annahme, dass wir die Chocofee hiermit gefunden haben?«
    »Absolut, Professor«, sagte Madame Baels, um Atem ringend.
    Dann fiel sie in Ohnmacht.
    Adalbert dachte darüber nach, wie sich ein Raum veränderte, sobald ein Toter darin lag, wie es merkwürdig ruhig wurde, die Welt lauernd und gefahrvoll wirkte, einer sich langsam schließenden Wolfsfalle gleich.
    Es war van der Elst, der als Erster die Worte wiederfand. »Wie bei Goldfinger«, sagte er stotternd. »Sie ist mit Schokolade statt Gold erstickt worden. Ihr Körper konnte nicht mehr atmen.« Van der Elst sprach damit aus, was alle dachten. Die tote Chocofee sah aus wie Goldfingers Gespielin Jill Masterson, die von James Bond komplett vergoldet und komplett tot in ihrem Hotelzimmer aufgefunden wird. Die schönste Leiche der Filmgeschichte.
    Und Beatrice Reekmans, die Chocofee, war fraglos die schönste Leiche, die Adalbert Bietigheim je gesehen hatte. Und er hatte in seinem Leben bereits mehr Leichen gesehen als geplant.
    Doch diese hinter der Plexiglaswand wollte er unbedingt genauer in Augenschein nehmen. In seinem Kopf tauchten Fragen auf wie Bläschen in frisch eingeschenktem Champagner.
    »Ist Madame Baels im Besitz des Schlüssels für die Glastür?«
    Mareijke Dovendaan nickte und holte ihn aus der Sakkotasche ihrer immer noch bewusstlosen Chefin, deren Kopf sie auf ihre Jacke gebettet hatte. Während Adalbert die Tür öffnete, instruierte er van der Elst, die Polizei zu rufen. Er selbst besaß aus Überzeugung keines dieser neumodischen tragbaren Telefone. Er leistete sich mit größtem Vergnügen den Luxus, nicht jederzeit für Krethi und Plethi erreichbar zu sein.
    Der schwere, wärmende Duft der Schokolade schlug ihm verheißungsvoll entgegen – kein Wunder bei der Menge, die sich auf Beatrice Reekmans sowie dem Fußboden befand. Die junge Frau lag auf dem Rücken, die Beine ausgestreckt, die Arme anliegend. Die dick und gleichmäßig auf dem Körper verteilte Schokolade gab ihre wohlgeformten Proportionen preis. Der Täter musste eine Unmenge erwärmt und über sie gegossen haben. So erschreckend die Situation war, so bedrückend der Tod einer jungen Frau in der Blüte ihres Lebens, in Adalberts Kopf feuerten die wissenschaftlichen Synapsen unbeeindruckt aus allen Rohren – wegen des Glanzes der Schokolade. Oder genauer: wegen des Fehlens von diesem. Beim Abkühlen bildete die Kakaobutter nur dann stabile Kristalle und damit einen samtigen Glanz, wenn es langsam geschah, ansonsten wurde die Schokolade brüchig und matt. Sein Blick wanderte über die braune Masse.
    Adalbert ging ganz nah heran, um die Struktur der Schokolade auszumachen.
    Doch das Auge verriet ihm nicht alles.
    Er blickte sich rasch um. Van der Elst telefonierte, aber wohl nicht mehr mit der Polizei, sondern mit seiner Frau. Madame Baels kam langsam zu sich, und Mareijke Dovendaan blickte hektisch abwechselnd auf das Ziffernblatt ihrer Uhr und in Madame Baels’ Gesicht, dem sie mit einem Museumsprospekt Luft zufächelte.
    Niemand sah zu ihm. Da drückte er fest auf den Ellbogen der Toten und brach ein Stück Schokolade heraus. Noch immer achtete keiner auf ihn.
    Er biss in das Stück abgebrochene Schokolade.
    Die Erhitzung war fraglos korrekt gelaufen, aber die Abkühlung … Bietigheim war sich nicht sicher. Er musste noch ein Stück probieren.
    »Was haben Sie da in der Hand?«
    Die Stimme war es gewohnt, dass ihre Fragen umgehend beantwortet wurden und man ihren Befehlen Folge leistete. Die Stimme war es überhaupt nicht gewohnt, warten zu müssen. »Was haben Sie da in der Hand? Legen Sie es sofort auf den Boden!«
    Bietigheim ließ die Schokolade augenblicklich fallen. Selbstverständlich zu seiner rechten Seite, wo Benno von Saber stand, allzeit hungrig.
    Und blitzschnell.
    Adalbert drehte sich um.
    Der Mann hatte seine Dienstwaffe gezogen und auf ihn gerichtet, nicht um zu schießen, sondern nur um zu zeigen, wer die Hosen anhatte. Der Polizist schien einem Film noir entsprungen zu sein. Lässig gekleidet, einer dieser Trenchcoattypen mit fusseligem Vollbart, auf dessen Haut man jede Zigarette, jeden Genever und jede nächtliche Überstunde erkennen konnte wie sechsspurige Autobahnen auf einer Landkarte. »Hauptkommissar Pieter Aspe, Politie Brugge«, stellte er sich vor. »Und wen sollen Sie darstel… Sie sind der Professor, nicht wahr? Dieser lustige Schokoladenonkel?«
    Schlimmer hätte er Adalbert nicht beleidigen können.
    »Ich bin beileibe
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