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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Altstadt Brügges. Die Walküre nahm seine Hand und führte ihn das Treppenhaus empor.
    »Gestern gab es bereits eine kleine Zusammenkunft der Top Ten, ein letztes Mal unbeschwert zusammen sein, bevor der Wettkampf startet. Es ging bis spät in die Nacht, unsere bezaubernde Chocofee war auch zugegen, und einige lokale Berühmtheiten durften natürlich ebenfalls nicht fehlen. Wie schade, dass Sie nicht dabei waren!«
    »Professionelle Distanz«, antwortete Bietigheim. »Man darf sich mit den Wettbewerbern nicht gemein machen, schließlich muss man sie bewerten und kritisieren. Ich bin ihr Richter – und für einige der Henker.«
    Madame Baels lächelte. »Oh, là, là, Professor Bietigheim. Das soll hier doch kein Schlachtfest werden!«
    »Obwohl der Schotte Edward Macallan einige seiner Pralinen mit Blut anrührt.«
    »Hören Sie mir bloß auf mit Macallan! Solch ein Krawallbruder!«
    Sie führte ihn lautstark durch die verschiedenen Etagen des Museums, in denen Herstellung und Historie der Schokolade ausführlich dargestellt wurden. Es gab sogar einen künstlichen Kakaobaum. Eine ganze Horde Putzfrauen war unterwegs, um alles auf Hochglanz zu polieren und die Spuren der nächtlichen Feier zu beseitigen – Madame Baels trieb sie mit harschem Ton an. Bietigheim dagegen schenkte die Herrin des Hauses ihr süßestes Lächeln. »Sie sehen, hier oben ist bereits alles très chic, nur in unserer Versuchsküche müssen die Damen noch ordentlich ran, da muss natürlich auch alles tippitoppi sein!« Den letzten Teil des Satzes sagte sie so laut, dass die Putzfrauen ihn nicht überhören konnten. Auch nicht die Putzfrauen aus dem Nachbarhaus.
    »Haben Sie schon die Wettquoten gesehen?«
    »Die … was haben Sie gesagt, Gnädigste?«
    »In England bei den Buchmachern ist Urs Egeli, der Schweizer Chocolatiermeister, haushoher Favorit. Pierre Cloizel aus Frankreich folgt dahinter und mit etwas Abstand Edward Macallan. Wunschdenken, wenn Sie mich fragen. Macallan ist bloß ein verrückter Außenseiter, Egeli dagegen ein Großmeister, und Cloizel will die Krone unbedingt, ohne Frage. Und er hat immerhin ein französisches Schokoladenimperium hinter sich.«
    »Ich weiß nicht, ob Sie es wussten, aber einst waren es die Spanier, welche die Schokolade nach Frankreich brachten«, setzte Adalbert an, der diese überwältigende Frau von Anfang an mit seinem Wissen zu überwältigen gedachte. »Es war 1615, als die spanische Infantin Anne von Österreich den französischen König Ludwig XIII. ehelichte. Erst dank ihr fand die Schokolade den Weg vom spanischen Königshof, wo sie schon Mode war, in die Grande Nation. Im Jahre 1659 …«
    »… wurde dann ein Königliches Privileg für den Vertrieb einer ›Komposition, die sich Schokolade nennt, als Getränk, Pastillen oder in Dosen‹ an den Franzosen David Chaillon ausgestellt. Wie könnte ich dies nicht wissen, mein lieber Professor Bietigheim?«
    Zunder und Donner, was für ein Weib. Schön und klug!
    »Wissen Sie denn, dass auch Ludwig XIV. eine spanische Königstochter …«
    »… ehelichte? Natürlich. Maria-Theresia. Durch sie wurde Schokolade in Versailles erst richtig en vogue. Dreimal die Woche wurde Kakao serviert. Die kleine Küstenstadt Bayonne wurde aufgrund von Juden, die vor der Inquisition nach Frankreich flohen, zum Zentrum der Schokoladenwelt, und 1780 …«
    »… wurde dort die erste mechanisierte Schokoladenfabrik errichtet! Potztausend. Sie sind eine Frau ganz nach meinem Geschmack, wenn ich das sagen darf.«
    »Aber immer gern.« Sie lächelte verschmitzt und hakte sich bei ihm ein. »Und nun kommen wir in den inspiriertesten Teil unserer Ausstellung. Kunst aus Schokolade! Ihnen werden die Augen übergehen – auch weil Sie unbändigen Appetit bekommen werden.«
    Benno sah sich um – Appetit hatte er augenscheinlich jetzt schon. Die Frage war nur, in welche Schokolade er zuerst beißen sollte. Sein Köpfchen schoss ständig von einer zur anderen Seite.
    Die hohen Decken und die weißen Wände des großen Raums wirkten majestätisch und bildeten den perfekten Rahmen. Ein großes, mannshohes Schokoei mit Schleife kündete von der Eröffnung des Museums 2004, doch was folgte, waren keine Weihnachtsmänner und Osterhasen, sondern wahre Kunstwerke. Die Skulpturen waren teils sehr realistisch, teils abstrakt und erinnerten an Rodin, Giacometti oder Henry Moore. Für Adalberts Geschmack alles viel zu modern.
    Eine junge Frau lief aufgeregt hinein. Sie trug ein
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