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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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eine Weltmeisterschaft, also eine ernst zu nehmende Angelegenheit! Fast schon eine Art Krieg. Statt Waffen schwangen die Gegner Schneebesen, statt mit Patronen erledigten sie den Gegner mit Kakaobutter, aber ansonsten: völlig gleich.
    Adalbert Bietigheim dampfte innerlich. Und dann dampfte er ab zum Hotel, schnellsten Schrittes, niemanden, der ihn erkannte, eines Blickes würdigend.
    Das »Relais Bourgondisch Cruyce« lag in der Wollestraat und galt als erstes Haus am Platz. Eine echte Schönheit. Das kleine, alte Luxushotel war direkt an einen der Kanäle gebaut, die die Stadt durchzogen. Sie wurden Reien genannt, wegen des im Mittelalter kanalisierten Flüsschens Reie, auf dem die Waren zum Meeresarm Het Zwin transportiert worden waren. Das Hotel war eines der ältesten Gebäude Brügges, seine hölzerne Front eines der meistfotografierten Motive der Stadt.
    Adalbert hielt Benno die Tür auf und schlug mit solch einer Kraft auf die Tischglocke, dass sie eigentlich in dem Tresen hätte versinken müssen.
    »Professor Bietigheim ist eingetroffen und wünscht, auf sein Zimmer gelassen zu werden!«, verkündete er lautstark. »Sein getreuer Hund ist ebenfalls im Hotel!« Er warf Benno einen stolzen Blick zu, während dieser sich ausgiebig am Ohr kratzte.
    »Oh, Sie sind es! Herzlich willkommen im ›Relais Bourgondisch Cruyce‹. Wir freuen uns sehr, dass Sie hier sind.«
    »Ich mich auch. Denn der Tag war lang, und ich möchte möglichst schnell nächtigen. Die Schlüssel bitte.« Er streckte die Handfläche auffordernd über den Tresen.
    Die junge, rotlockige Rezeptionistin legte ein Anmeldeformular hinein. »Das Chocomuseum hat ein sehr schönes Zimmer für Sie reservieren lassen.«
    »Welche Kategorie?«, fragte Adalbert, während er das Formular akribisch mit seinem Füllfederhalter ausfüllte.
    »De luxe.«
    »Ich darf annehmen, dass dies die höchste ist?«
    »Äh … nun ja, eigentlich nicht.«
    »Dann erhöhen Sie. Geben Sie mir Ihr schönstes freies Zimmer. Der Veranstalter zahlt.«
    »Wir hätten aber nur noch eine Suite mit Marmorbadezimmer, ›Rouge Royal‹, für 450   Euro die Nacht.«
    »Gerade gut genug.« Er pustete über die Tinte und reichte das Formular zurück.
    Endlich übergab sie ihm den Schlüssel.
    Forsch schloss Bietigheim die Suite auf, Benno rannte als Erster hinein und bellte vorsorglich in alle Ecken. Hm, ja, sah aus wie bei Königs zu Hause. Himmelbett, Stilmöbel, Ralph-Lauren-Bettwäsche, es lag sogar eine ganze Tafel Edelschokolade auf dem spitzenbedeckten Kopfkissen. Es war die Schokolade zur Weltmeisterschaft, und da deren Thema »Schokolade & Wein« lautete, war sie auf Bietigheims Wunsch hin mit moselanischem Riesling aus St.   Aldegund angereichert worden. Er brach sich flugs einen Riegel ab und ließ ihn mit geschlossenen Augen am Gaumen schmelzen. Wundervoll! Nichts war besser für die Seele. Die Lieblingsspeise der Schlaraffen.
    Adalbert ließ Benno etwas Wasser in einen mitgebrachten goldenen Napf ein, sortierte penibel seine Kleidung in die Schränke, stellte seine handgefertigten Lederschuhe ordentlich nebeneinander vor die Tür zum Wienern, glättete mit dem Reisebügeleisen seine – passend zum Anlass – vollmilchschokoladenbraun gepunktete Fliege, zog sein knielanges Nachthemd an – ein Familienerbstück seines Großvaters – und öffnete das Fenster, um hinaus auf den Kanal zu blicken. Tief atmete er die kühle Nachtluft Brügges ein, während Benno sich neben ihm auf die Hinterläufe stellte, die Pfoten auf das Fensterbrett und seine Nase in den leichten Wind streckte.
    Morgen würde die Weltmeisterschaft der Chocolatiers mit der Vorstellung der für die Endausscheidung nominierten Top Ten im Schokoladenmuseum der Stadt beginnen. Noch sah hier alles ganz friedlich aus – das würde sich bald ändern.
    Ein einsames Ruderboot glitt völlig unbeleuchtet durch den Kanal vor seinem Fenster, ganz eng ans Ufer gedrückt, wo es nicht auffiel. Der Ruderer machte kaum Geräusche – und ließ langsam etwas ins schwarze Nass gleiten, das sofort versank, bevor er selbst wieder in den Schatten der Stadt verschwand.
    Müllentsorgung auf Belgisch, dachte Bietigheim.
    Bestimmt eine jahrhundertealte Tradition.
    Das Glockenspiel des Belfried weckte Adalbert Bietigheim um sechs Uhr früh sanft aus seinen Träumen. Zu seinen Füßen hatte Benno sich auf den Rücken gedreht, seine Beine zuckten, er jagte wohl Kaninchen oder seinen eigenen Stummelschwanz. Adalbert nahm eine kalte
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