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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Dusche, seifte dabei die Körperteile in der korrekten Reihenfolge ein, kleidete sich an und begab sich zum Frühstück. Er beanspruchte selbstverständlich den schönsten Platz am Fenster mit Blick auf den Kanal, obwohl dieser eigentlich für einen Stammgast reserviert war, und setzte zudem durch, dass Benno von Saber auf dem Stuhl neben ihm Platz nehmen durfte. Keine Widerrede! Die Zeitung wurde ihm – wie gewünscht gebügelt – an den Tisch gebracht.
    »De Standaard« berichtete auf der Titelseite über die Weltmeisterschaft – obwohl die Regierung mal wieder kriselte und die Flamen ihre Unabhängigkeit lautstark forderten. Aber Schokolade ging in Belgien nun mal vor. Auf der Titelseite: die Chocofee, neue Galionsfigur des Schokoladenmuseums und nun auch der Weltmeisterschaft. Sie trug ein Kostüm, für den der Ausdruck ›Hauch von Nichts‹ erfunden worden war. Ein schulterfreies Negligé aus weißer, fast völlig transparenter Seide, mit Spitzenbesatz in Blütenform am oberen Ende, das von braunen Lederriemen auf ihrem schönen Körper gehalten wurde. Der Stoff gab alles darunter preis – auch dass es darunter kaum weiteren Stoff gab. In ihrem voluminös toupierten braunen Haar steckten unzählige Kakaoblüten, die aussahen wie rosa-weiße Lilien. Auf ihrer Brust eine weitere große Kakaoblüte sowie eine Brosche mit zwei Astern, als Armreifen Rosen und um die Hüfte ein Band aus Orchideen. Das Gesicht … es kam ihm bekannt vor … puppenhaft schön … das war doch … aber ja … tatsächlich! Die junge Frau vom Vorabend! Die Sängerin, welche Benno gleich so ins Herz geschlossen hatte.
    Dem Bericht zufolge würde sie heute die Vorstellung der zehn besten Chocolatiers der Welt übernehmen. Die Teilnehmer waren schon seit einer Woche hier, hatten Zeit gehabt, sich aneinander zu gewöhnen, ans Englische, das während der Weltmeisterschaft von allen gesprochen werden musste, und alle ihre zum Teil exotischen Zutaten zu organisieren. Adalbert würde sich gleich auf den Weg zum Schokoladenmuseum machen – aber erst nach einem ausgiebigen Frühstück, bei dem nicht gehetzt wurde, sonst konnte man es auch gleich sein lassen.
    Der Ort des offiziellen Startschusses, das Schokoladenmuseum, lag in der Wijnzakstraat 2 am Sint-Jansplein, einem Platz im Stadtzentrum. Es war nicht zu übersehen. Für ein Gebäude dieses Alters – errichtet worden war es im Jahr 1480 – war seine vierstöckige Bauweise in Brügge eine echte Seltenheit. Bietigheim hatte sich selbstverständlich im Vorfeld informiert, weshalb er wusste, dass hier einst eine Weinstube existiert hatte, die Fässer lagerte und weiterverkaufte – wie passend.
    Ein roter Teppich war bereits vor dem Eingang ausgerollt worden, und eine flämische Musikkapelle in Tracht stand daneben und rauchte Zigaretten, als gelte es, den gesamten Platz einzunebeln. In den Rauch trat eine Frau wie eine Erscheinung. Ach was, keine Frau, ein Weib! Eine Matrone, eine … Walküre! Blond gelocktes Haar, breite Schultern, ein imposanter Busen, eine herrische Haltung. Sie trug zwar ein rotes Brokatkleid, das aussah wie eine Gardine, doch sie trug es wie ein Kettenhemd. Sie breitete die Arme aus und schloss Adalbert in dieselben, drückte ihm Küsse mit der Wucht von Backpfeifen auf die Wangen und stellte sich erst danach vor. Es war Josephine-Charlotte Baels, die Organisatorin, die Gastgeberin, die Herrin der Weltmeisterschaft. Belgiens erste Dame der Schokolade, Gründerin des Museums, eine direkte Nachfahrin von Jean Neuhaus, der 1912 im Keller seiner Brüsseler Apotheke Creme in eine Schokoladenhülle füllte – und damit die belgische Praline erfand. Diese Frau war fleischgewordene Schokoladengeschichte.
    »Treten Sie ein in die gute Stube. Aber putzen Sie sich vorher bitte die Schuhe ab!«
    Eine Frau, die Wert auf Sauberkeit legte, war eine Frau nach Adalberts Geschmack!
    Doch als er eintreten wollte, hinderte ihn einer der livrierten Lakaien daran und blickte streng auf Benno. »Hunde sind im Museum nicht erlaubt.«
    »Das ist kein Hund, das ist Benno von Saber. Sein Stammbaum ist länger und edler als der Ihrige. Er ist mein Personal Assistant und weiß sich sehr wohl zu benehmen.« Ohne den Hanswurst eines weiteren Blickes zu würdigen, marschierte Adalbert hinein, Personal Assistant Benno mit stolz erhobenem Kopf an seiner Seite.
    Die Grandezza des alten Hauses war unübersehbar, doch es war viel kleiner und enger als erwartet, verschachtelt und verwinkelt, wie die
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