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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Autoren: Nancy Bilyeau
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indes der Wagen seine Fahrt wieder aufnahm.
    Jemand stieß mich mit dem Ellbogen an. Eine kräftige Frau mittleren Alters rückte näher, die einzige andere weibliche Person auf dem Wagen. Lächelnd bot sie mir ein Stück dunkles Brot, das ich dankbar annahm. Ich hatte seit dem Abendessen am vergangenen Tag nichts mehr gegessen. Sonst war mir der Hunger mit all seiner Qual willkommene Waffe im Kampf gegen mein schwaches Fleisch, aber jetzt gebot mir mein Vorhaben, bei Kräften zu bleiben. Das Brot und ein Schluck wässriges Bier aus ihrem Holzkrug belebten meinen ermatteten Körper.
    Ich ließ mich nach hinten an das Geländer sinken. Wir kamen an einem kleinen Markt vorüber, auf dem, wie es schien, ausschließlich mit Gewürzen und Kräutern gehandelt wurde. Jetzt, da es zu regnen aufgehört hatte, nahmen die Händler die Planen ab, mit denen sie ihre schmalen Stände vor Nässe schützen. Ein starker Duft nach Borretsch, Salbei, Thymian, Rosmarin, Petersilie und Schnittlauch hing in der Luft und blieb zurück, als der Wagen weiterrumpelte. Die durchdringenden Gerüche der Stadt gewannen von Neuem die Oberhand. Eine Reihe vierstöckiger Häuser kam in Sicht   – stattlicher als alles, was ich bisher gesehen hatte. An der Straßenecke hing das Schild eines Goldschmieds.
    Ein junger Mann, der mir gegenübersaß, grinste und sagte laut in die Runde: »Nett von König Hal, dass er heute eine schöne junge Lady verbrennen lässt. Das letzte Mal war es ein hässlicher alter Fälscher.«
    Mir kam das hastig verschlungene Brot wieder hoch, und ich drückte die Hand auf den Mund.
    »Aber ist sie wirklich schön?«, fragte ein anderer.
    Ein alter Mann mit milchig blauen Augen strich sich das Kinn. »Ich kenn jemand, der Lady Bulmer gesehen hat. Sie ist wirklich ein hübsches Ding, ja«, sagte er bedächtig. »Hübscher als die Königin.«
    »Als welche?«, grölte einer der Männer.
    »Als alle drei«, antwortete ein anderer. Nervöses Gelächter machte die Runde. Sich über das Eheleben des Königs lustig zu machen   – von seiner ersten Frau hatte er sich scheiden lassen, die zweite hatte er hinrichten lassen, um die dritte ehelichen zu können   –, war gefährlich. Dafür waren schon Hände abgehackt und Ohren abgeschnitten worden.
    Der Alte sagte kopfschüttelnd: »Lady Bulmer muss den König schon schwer beleidigt haben, dass er sie draußen vor den Augen des gemeinen Volks verbrennen lässt statt im Tower oder wenigstens auf dem Richtplatz in Tyburn.«
    »Sie haben alle, die Robert Aske gefolgt sind, nach London geschleppt, ob Hochadel oder Landedelleute«, bemerkte der junge Mann. »Um sie dem gerechten Urteil des Königs zuzuführen. Sie ist nur die Erste, die sterben wird.«
    Mir wurde heiß. Was würden diese Londoner sagen, was würden sie mit mir machen, wenn sie wüssten, wer ich war und woher ich kam? Eins war gewiss: Ich würde Smithfield niemals erreichen.
    Ich suchte nach einem Gebet, das mir Kraft geben würde.
Allmächtiger Gott, lass mich gehorsam sein ohne Widerspruch, arm im Geiste ohne Niedrigkeit der Gesinnung, rein ohne Flecken.
    »Das Weib, diese Bulmer, ist eine dreckige Aufrührerin«, schrie die Frau, die ihr Brot mit mir geteilt hatte. »Sie ist eine Papistin und Verschwörerin aus dem Norden, die unseren König stürzen wollte.«
    Demutsvoll ohne Verstellung, froh ohne Maßlosigkeit, traurig ohne Kleinmut, ernst ohne Anmaßung, rührig ohne Leichtsinn, wahrhaftig ohne Falsch.
    Der Alte sagte milde: »Im Norden haben die Leute ihr Leben dafür gegeben, die alten Formen zu bewahren. Sie wollten die Klöster schützen.«
    Seine Worte ernteten allseits nichts als Verachtung.
    »Diese vollgefressenen Klosterbrüder sitzen auf Säcken voll Gold, und die Armen vor ihren Mauern lassen sie verhungern.«
    »Ich hab von einer Nonne gehört, die ein Balg von einem Priester hatte.«
    »Diese Betschwestern sind doch alle Huren oder Missgeburten und Schwachsinnige, von denen die eigene Familie nichts wissen will.«
    Ich hörte mein brüchiges Lachen, bitter und ohne Heiterkeit, das unbeachtet blieb, da gerade in diesem Moment draußen auf der Straße jemand laut schrie. Ein Gassenjunge hetzte wie gejagt an unserem Fuhrwerk und den Pferden vorbei. Als das Kind sich in panischer Angst umschaute, zeigte sich, dass es kein Junge war, sondern ein Mädchen mit schmuddeligem Gesicht und kurz geschorenem Haar.
    Ein Matschklumpen sauste durch die Luft und traf sie an der Schulter. »Auaaa!«, heulte sie auf.
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