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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Autoren: Nancy Bilyeau
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September
    Deine Cousine und auf ewig treueste Freundin,
    Margaret Stafford Cheyne Bulmer.
     
    Ich steckte den Brief wieder ein, zog meine Kapuze so tief wie möglich, sodass auch nicht die kleinste Haarsträhne zu sehen war, und trat auf den Smithfield Square.

Kapitel 2
    Als ich auf diesem Platz voller Menschen stand, die es kaum erwarten konnten, das Schauspiel von Margarets Verbrennung zu sehen, fiel mir etwas ein, was mein Vater über Smithfield gesagt hatte. »Dort haben die Plantagenets früher die glänzendsten höfischen Turniere abgehalten, Joanna. Sie wählten diesen Ort, weil er ein großes freies Feld bot und nicht allzu fern von den Palästen lag.«
    Mein Vater war kein wortgewandter Mann, aber eine Tjost konnte er mit größter Anschaulichkeit beschreiben. In seiner Jugend war er darin ein Meister gewesen, einer der hervorragendsten Lanzenstecher im ganzen Königreich. Das war vor dem Tod meines Onkels gewesen, des Herzogs, der wegen Hochverrats hingerichtet wurde, als ich zehn Jahre alt war. Vor der Verbannung meiner Eltern vom königlichen Hof. Vor dem Sturz der Familie Stafford.
    Viele Jahre waren seit seinem letzten ritterlichen Kampf vergangen, aber die Erinnerung daran war immer noch lebendig. Ich brauchte nur die Augen zu schließen, wenn er erzählte, und sogleich war mir, als donnerte ich hoch zu Ross die Bahn hinunter, die durch eine hölzerne Schranke abgetrennt war. Die silberne Rüstung gleißt im Sonnenlicht, die linke Hand hält den Schild, die rechte die Lanze. Aus der Ferne reitet der Gegner heran, kommt näher und näher, bis er nur noch wenige Fuß entfernt ist und die Lanzen mit gewaltigem Klirren zustoßen.
    Wenn ich mir diesen Moment des Zusammenpralls vorstellte, da ein Mensch, von der gegnerischen Lanze unter der Rüstung getroffen, sein Leben verlieren konnte, schauderte ich. Mein Vater aber antwortete stets mit einem Lächeln, diesem schnell aufleuchtenden Lächeln eines kleinen Jungen, das er sich bewahrt hatte, mochte auch sein volles rotbraunes Haar von ersten grauen Strähnen durchzogen sein.
    Ich hatte dieses Lächeln lange nicht mehr gesehen. Als ich ihm im letzten Jahr eröffnet hatte, dass ich ins Kloster gehen wollte, stritt er mit mir und versuchte zunächst, mich von diesem Gedanken abzubringen. Aber nicht lange. Er erkannte, wie ernst es mir mit meinemVerlangen nach einem reineren Leben war, fern dem Getriebe der Menschen und ihren Begierden. Er schrieb die notwendigen Briefe und brachte, nicht ohne Schwierigkeiten, die Aussteuer auf, die ich ins Kloster einbringen musste. Er tat es, weil er mich glücklich sehen wollte und keinen anderen Weg dazu sah.
    Und einige Monate lang war ich auch glücklich in Dartford. Im kontemplativen Leben fand ich, abseits von der Selbstsucht und der Eitelkeit der Welt, die Bestimmung, die Ordnung und die Gnade, nach denen ich mich gesehnt hatte. Aber es war ein zerbrechliches, gefährdetes Glück. Ich hatte mich zu einer Zeit für das religiöse Leben entschieden, da dieses sich nicht nur im Niedergang befand   – weit weniger Menschen als in vergangenen Jahrhunderten verspürten das Bedürfnis, ihr Heil in einer Ordensgemeinschaft zu suchen   –, sondern sich heftigsten Angriffen ausgesetzt sah. Unser König hatte sich von Rom losgesagt. In den letzten zwei Jahren waren die kleinsten Prioreien und Klöster bereits aufgelöst und ihre Bewohner auf die Straße getrieben worden. Die Priorin Elizabeth versicherte den Schwestern, dass die größeren Einrichtungen wie unsere verschont bleiben würden, dennoch ging in den steinernen Gewölben, im Klostergarten und selbst in den Dormitorien unseres Klosters die Angst vor weiteren Auflösungen um.
    Erst vor einer Woche, auf dem Weg zur Abendandacht, hatte ich vor mir im Südgang zum ersten Mal jemanden ihren Namen flüstern hören. »Die Frau, die zu den Anführern des zweiten Aufstands oben im Norden gehört, Lady Margaret Bulmer   –«
    »Von wem sprecht Ihr?«, rief ich laut, und die beiden Schwestern vor mir blieben stehen und drehten sich um. Niemals hätte eine Novizin so mit einer ranghöheren Glaubensschwester sprechen dürfen.
    »Verzeiht mir, Schwestern.« Ich verneigte mich mit gefalteten Händen, dann schaute ich vorsichtig zu ihnen hinauf. Schwester Joan, die Klosteraufseherin, der die Durchsetzung der Ordensregeln oblag, maß mich schweigend mit kaltem Blick. Schwester Agatha jedoch, die Novizinnenmeisterin, konnte der Versuchung, ein wenig zu klatschen, nicht
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