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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Autoren: Nancy Bilyeau
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unbeirrten Schlägen der vier Ruderer merkte ich, dass diese sich des Ziels gewiss waren. Die Männer in der grünweißen Tracht des Hauses Tudor kannten den Bestimmungsort. Und den Insassen der anderen Boote auf der Themse, ja selbst den Londonern an den Flussufern war er, vermutete ich, ebenfalls bekannt. Ganz gleich, wen wir passierten, immer spürte ich die neugierigen Blicke, hörte das plötzlich einsetzende Gerede. »Wen haben sie denn da wieder geschnappt?« Eine alte Frau, die Schmutzwasser in den Fluss kippte, verrenkte sich fast den Hals, um uns ja nicht aus den Augen zu verlieren, und neigte sich dabei so weit über das Wasser, dass ich glaubte, sie würde gleich hineinfallen.
    Ich saß die ganze Zeit unbewegt und kerzengerade, Schultern zurück und Kopf hoch, wie ich es von Kindesbeinen an gelernt hatte. Niemand sollte meine Furcht sehen. Und niemand sollte den Mann sehen, der, den verbundenen Kopf auf meine Röcke gebettet, auf den Planken des Bootes lag. Meine Beine schmerzten unter dem Druck, aber ich konnte Geoffrey Scovill unmöglich wieder zu den nassen Planken hinunterschieben. Der Anblick des schlaffen Gesichts mit den geschlossenen Augen und dem verkrusteten Blut auf der rechten Wange erfüllte mich mit Zorn und Schuldgefühlen. Es gab so vieles, worüber ich dringend nachdenken, wofür ich beten, was ich zu begreifen suchen musste, aber man hatte mir ein Hemmnis gewissermaßen direkt in den Schoß geworfen.
    Als die Sonne verschwand und die Dämmerung den Fluss mit einem fahlen orange-violetten Licht übergoss, wurde Geoffrey Scovill stöhnend wach.
    Man nahm ihm die Handfesseln ab, und er betastete verwirrt den notdürftigen Verband um seinen Kopf. Schwankend setzte er sich auf und drehte sich zu mir herum, ehe er halb aufstand, um sich einen Sitzplatz zu suchen. Mit unsicherem Blick sah er mich an. Mir graute vor dem kommenden Gespräch.
    »Wisst Ihr, wo Ihr seid?«, fragte ich.
    Seine Miene verriet, dass er es schon erkannt hatte. »In einem königlichen Boot, wie es scheint«, antwortete er mit heiserer Stimme. »Warum?«
    Ich blickte nach vorn zu den beiden Ruderern im Bug, dann nach hinten zu den zwei anderen. Das Boot war so lang, da würden sie kaum hören, was wir sprachen.
    »Sie haben meinen Vater und mich festgenommen, und Euch, glaube ich, auch«, erklärte ich leise.
    Er nahm es weit gefasster auf, als ich erwartet hatte. Sein Gesicht blieb unbewegt. »Was wird uns denn vorgeworfen?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Ich musste ihnen meinen Namen und den meines Vaters nennen, dann verschwanden sie lange Zeit und ließen mich unter Bewachung zurück. Danach wurden wir beide in einen Wagen verfrachtet und zu irgendeinem Haus gefahren. Aber dann überlegten sie es sich auf einmal anders und brachten uns zum Fluss. Zwei Stunden hatten wir im Wagen gesessen, ehe sie uns auf dieses Boot brachten. Meinen Vater habe ich nicht mehr gesehen. Ich weiß, dass er verletzt ist, schwerer als Ihr. Aber niemand wollte mir Auskunft geben.«
    Ich holte Atem und bemühte mich, ruhig zu bleiben.
    »Was ist mit ihm passiert?«, fragte Geoffrey Scovill.
    Ich schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Ich weiß es nicht. Nach dem Donnerschlag war überall Rauch. Als er sich verzog, sah ich meinen Vater auf dem Boden liegen. Bald danach haben sie ihn fortgeschafft, und ich habe ihn nicht wieder gesehen.«
    »Nach dem Donnerschlag?«
    »Mein Vater hat irgendetwas ins Feuer geworden, direkt auf Margaret. Einen Beutel. Deswegen ist er wohl zu ihr hingelaufen. Danach gab es einen ungeheuren Knall und riesige Rauchwolken.«
    Geoffrey nickte. »Ah, ja. Natürlich.«
    »Ihr wisst, was es war?«
    »Schießpulver.« Er schien nicht den kleinsten Zweifel zu haben. Mir fiel ein, dass er Constable war, da kannte er sich mit solchen Dingen wahrscheinlich aus. »Wenn ein Gesetzesbrecher zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wird und der König Gnade walten lassen will, erlaubt er, dass dem Verurteilten ein Säckchen mitSchießpulver um den Hals gebunden wird. Sobald das Schießpulver Feuer fängt, explodiert es. Der Tod tritt sofort ein, das Leiden wird verkürzt. Aber die Pulvermenge muss genau bemessen sein. Euer Vater hatte offenbar zu viel genommen.«
    Ich schluckte.
    Geoffrey sah mich forschend an. »Ihr habt sie Margaret genannt. Ihr habt sie also gekannt?«
    Es schien sinnlos, weiter Verstecken zu spielen.
    »Lady Margaret Bulmer war meine Cousine«, sagte ich. »Ich bin hierhergereist, um für sie
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