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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Autoren: Nancy Bilyeau
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gesenkter Stimme.
    Ich spürte, dass die Bewegung der Ruder sich veränderte. Die Fahrt wurde langsamer, doch ich musste Geoffrey Scovill einweihen, bevor es zu spät war.
    »Ich bin Novizin im Kloster Dartford in Kent«, bekannte ich gehetzt. »Ich habe mich heute vor Morgengrauen heimlich aus dem Kloster gestohlen, um nach London zu kommen. Ich glaube nicht, dass man mich wieder aufnehmen wird, wenn doch, werde ich spätestens Ende nächsten Jahres die Ordensgelübde ablegen.«
    Schweigen antwortete mir. Aber dann hörte ich doch etwas. Im ersten Moment glaubte ich erschrocken, er weine. Nein, es klang eher wie unterdrücktes Lachen.
    Mir wurde heiß vor Zorn, als ich erkannte, dass er tatsächlich lachte. Sich ausschüttete vor Lachen.
    »Was fällt Euch ein, Euch über mich lustig zu machen?«, fauchte ich empört.
    Er schüttelte den Kopf und presste eine Hand auf sein Knie, wie um das Lachen einzudämmen, aber es gelang ihm nicht.
    »Ich bin nach London gekommen, um meinen Dienstherrn bei einer staatlichen Hinrichtung zu vertreten«, sagte er, eher an den Flussals an mich gerichtet. »Ich rette eine junge Frau aus einer Gefahr und lasse mich von einem Paar schöner brauner Augen verführen zu bleiben, und was passiert? Ach, armer Geoffrey   …«
    Seine Worte ärgerten mich. »Tja, das habt Ihr nun von Eurem ritterlichen Auftritt«, zischte ich. »Ich habe Euch gleich gesagt, Ihr sollt mich in Ruhe lassen, aber Ihr wolltet ja nicht hören. Was jetzt auf Euch zukommt, ist   –«
    Geoffrey Scovill sprang plötzlich auf und fasste mich bei den Schultern. »Macht die Augen zu und dreht Euch nicht um«, flüsterte er, den Mund so dicht an meinem Ohr, dass ich seinen warmen Atem spürte.
    Ich konnte nicht fassen, dass er mich tatsächlich berührte. Meine gefesselten Hände wie eine Keule gebrauchend, stieß ich ihn weg, er stürzte zu Boden und schrie vor Schmerz auf, als er mit dem Kopf gegen die Bootskante schlug.
    Und ich drehte mich um wie unter Zwang.
    Das Boot steuerte auf eine große Brücke zu. Lodernde Fackeln in Abständen von vielleicht zwanzig Fuß bildeten eine Kette flammender Lichter über dem breiten, dunklen Fluss.
    Und zwischen den Fackeln steckten auf langen Spießen die Köpfe enthaupteter Übeltäter.
    Es müssen mehr als ein Dutzend gewesen sein, wenngleich ich nur einen, der mir am nächsten war, deutlich erkennen konnte. Das faulende Fleisch war schwarz. Der Schein einer nahen Fackel füllte die leeren Augenhöhlen und züngelte im klaffenden Mund. Es sah aus, als würde der Kopf lebendig und grinste höhnisch zu mir hinunter.
    In meinen Ohren begann es zu dröhnen, am ganzen Körper brach mir der Schweiß aus. Ich presste die Augenlider zusammen, um das schreckliche Bild zu löschen. Aber es war zu spät. Mein Magen rebellierte, als bäumte ein entsetztes Tier sich in mir auf. Mit den gefesselten Händen umklammerte ich die Kante der Bootswand und krümmte mich. »Heilige Mutter Gottes, hilf mir.«
    Eine Ewigkeit, wie mir schien, kämpfte ich dagegen an, dann verlor ich den Kampf. Vornübergebeugt erbrach ich mich ins Boot, nichts als dünne Fäden bitterer Galle, denn seit der Wagenfahrt nachSmithfield vor vielen Stunden hatte ich keinen Bissen mehr gegessen. Hustend und zitternd wischte ich mir den Speichel vom Kinn.
    Wir ruderten unter der Brücke durch, das Wasser schlug gegen die dunklen Steinbögen. Ich schauderte bei dem Gedanken an die Köpfe der Enthaupteten über uns.
    Als eine Hand vorsichtig meine Schulter berührte, öffnete ich die Augen. Geoffrey Scovill hielt mir ein Taschentuch hin, dasselbe, das er mir in Smithfield angeboten hatte. Ich wischte mir das Gesicht ab.
    »Behaltet es«, sagte er.
    Ich sah ihn an. »Es tut mir leid, dass Euch das passieren musste«, sagte ich.
    »Ich weiß.« Er lächelte, aber nicht spöttisch oder ärgerlich. Dann hob er den Blick über meine Schulter, und das Lächeln erlosch. Ich sah die plötzliche Anspannung in seinem ganzen Körper.
    Wir hatten die Themse verlassen und glitten durch eine weit schmälere Wasserstraße mit hohen Mauern zu beiden Seiten.
    Über uns dräute eine riesige glatte Schwärze, die die tiefstehenden Sterne und die blassgrauen Wolken verschluckte. Das war der Tower.
    »Man muss sich für die Krone oder für das Kreuz entscheiden«, sagte Geoffrey Scovill so leise, dass ich ihn über das Geräusch der Ruder hinweg kaum verstehen konnte.
    »Wie bitte?«
    »Wir müssen alle das wählen, was uns wichtiger ist, wem
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