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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht
Autoren: Andrea Fazioli
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doch alle geschnappt«, meinte Anna.
    »Scheint so …«, bemerkte Salviati.
    »Nein, Moment mal!«, warf Filippo ein. »Einige Bandenmitglieder sind nie identifiziert worden. Sie haben sich mit ihrem Geld ein schönes Leben gemacht. Biggs ist allerdings gefasst worden, aber er hat es geschafft, aus dem Hochsicherheitsgefängnis zu entkommen, mit einer Strickleiter, stellt euch das vor, und dann ist er nach Südamerika geflohen.«
    »Und hat ihn die englische Polizei nicht aufgespürt?«
    »Natürlich hat sie ihn aufgespürt! Er hat einen Haufen Werbung gemacht, bei Rockgruppen mitgesungen, er war auf Reisen, hat Kinder gezeugt. Aber es gab kein Auslieferungsabkommen mit Brasilien, und so haben sie ihn nie gekriegt.«
    »Und jetzt?«, fragte Salviati leise.
    »Jetzt sitzt er im Gefängnis.«
    »Ah.«
    »Er ist aus gesundheitlichen Gründen nach Großbritannien zurück. Er ist fast achtzig und in einem ziemlich schlechten Zustand. Wenn man bedenkt, dass er vierzig Jahre lang auf der Flucht war!«
    »Aber sie haben ihn geschnappt«, wandte Salviati ein.
    »Sagen wir, er hat sich schnappen lassen. Und er hat seine Story an die Boulevardpresse verkauft. Aber wer weiß, wie viele Diebe es schaffen, ihr Ding zu drehen und unterzutauchen …«
    »Wir werden es schaffen«, rief Anna. »Wir legen uns einen perfekten Plan zurecht. Man muss nur gründlich genug die Zugfahrpläne studieren …«
    »Schon, aber wie wollen wir den Zug stoppen?«
    »Wir stoppen ihn nicht, wir schmeißen die Geldsäcke aus dem Fenster!«
    »Und einer steht bereit, um sie aufzusammeln.«
    »Aber die Wachleute?«
    »Man müsste die Säcke einfach vorher austauschen, während sie in den Zug geladen werden.«
    »Wenn wir eine Schaffneruniform hätten …«
    »Und wieso keine Polizeiuniform? So kämen wir in den Waggon mit dem Geld.«
    »Und du, Jean, hast du keine Idee?«, fragte Anna.
    Salviati lächelte. Die Augen der Frau glänzten im Dunkeln. Es genügt so wenig, dachte er, so wenig …
    »Oh, ich verstehe von diesen Dingen nicht besonders viel«, sagte er und führte ein Streichholz an die Pfeife. »Ich weiß nicht, ob ich euch helfen könnte.«
    »Wir werden schon eine Rolle für dich finden«, meinte Filippo.
    »Ich bin das Gehirn der Bande!«, rief Anna. »Du, Filippo, wirst dich um die Fahrpläne und die Koordination der Zeiten kümmern, du weißt, dass ich nicht pünktlich bin. Und du, Jean, könntest Informationen sammeln. Weißt du, als Bahnbeamter die Schichtwechsel herausfinden und so weiter.«
    »Perfekt«, murmelte Salviati.
    »Man muss einen kühlen Kopf bewahren und zu allem bereit sein«, warf Filippo ein.
    »Weiß nicht!«, Salviati schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht besonders geeignet für Überfälle …«
    »Wir werden’s dir schon beibringen!« Anna lächelte. »Wir sind wie Bonnie und Clyde.«
    »Hör sie dir an!«, rief ihr Mann. »Sie spricht, als hätte sie ihre gesamte Jugend damit verbracht, Banken auszurauben!«
    Sie lachten alle drei, auch Salviatis Lachen war aufrichtig. Das Lachen eines Gärtners in einer alten provenzalischen Villa. Das Lachen eines Mannes, der nie das Gesetz übertreten hat. Und weit weg, über dem Meer, färbte der Mond die dunkle, von Zikadenklängen und Düften erfüllte Nacht. Hin und wieder bewegte ein leichter Wind die Zweige im Garten und verlor sich auf der Terrasse.
    »Hier lässt es sich aushalten, stimmt’s?«, wiederholte Anna.
    Ihr Mann nickte. Salviati blies ein wenig Rauch aus und sagte:
    »Wirklich ein schöner Abend.«
    Später, als er mit seinem alten Motorroller auf dem Heimweg war, ging Salviati das Geplauder auf der Terrasse erneut durch den Kopf. Das Gedankenspiel endete immer mit der Rückkehr zur Ruhe, zum Rhythmus der Ferien.
    Zum Glück. Wenn alle, die davon träumen, einen Coup zu landen, es tatsächlich täten, würden die Gefängnisse aus allen Nähten platzen. Salviati war draußen, und er war froh darüber. Er hatte alles in allem fast zehn Jahre gesessen. Das Geld war schnell weg gewesen, ebenso wie die Bereitschaft zum Risiko. Und auch die Abenteuerlust, die einem Überfall vorangeht, und jene träge Befriedigung, die danach kommt, waren verflogen.
    Salviati durchquerte die warme, von Zauber und Gerüchen erfüllte Nacht, fuhr zügig über die kaum beleuchteten Straßen. An einem bestimmten Punkt, als er den Hügel hinabkam, dachte er an seine Tochter. Später fragte er sich, ob es vielleicht eine Art Vorahnung gewesen war. Trug er nicht letztlich Schuld daran,
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