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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut
Autoren: Timothy Findley
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verteidigte. Es gäbe nur eine Möglichkeit, ihm das Handwerk zu legen: indem sie aufhören würde, Kätzchen zu kriegen – wenn sie nur wüsste wie.
    Nein, noch eine weitere Möglichkeit gab es – und auch diese hatte sie schon ernsthaft in Erwägung gezogen. Sie könnte die Kätzchen aussetzen, verlassen, bis sie verhungerten, sie als Beute für die nächstbesten Raubvögel oder andere Tiere zurücklassen. Sie wusste, dass das manchmal passierte, wenn ein Muttertier alt, krank oder verwundet war. Letztendlich allerdings hatte Mottyl auch diesen Plan aufgegeben, zum Teil aus einem ganz egoistischen Grund: Ohne die Möglichkeit Kätzchen zu säugen, hätte ihre Milch sie verrückt gemacht. Aber noch viel wichtiger war eine unverrückbare Tatsache: Die schutzbedürftigen jungen Kätzchen waren etwas Heiliges.
    Mottyl stellte sich ein Nest voller Eier vor, wie das ihrer Freundin Krähe. Wenn Krähe keine Lust hatte, brauchte sie die Eier nicht auszubrüten. Auch so konnte man Ungeborene loswerden: Eier legen und sie einfach liegen lassen…
    Dass diese Gedanken über Gebären und Nichtgebären Mottyl beschäftigten, hatte einen äußerst triftigen Grund. Sie wurde nämlich gerade läufig. Gestern hatte es angefangen und jetzt – heute Abend, während sie auf der Veranda neben Mrs Noyes vor sich hin grübelte – spürte sie die ersten leisen Warnzeichen entlang den Flanken und an den Schultern. Läufigkeit kommt und vergeht wieder. Dagegen kann man nichts tun. Doch es gab eine sehr geringe Chance, dass sie Unrecht hatte. Vielleicht kündigte sich ja Fieber an – eine Krankheit –, weil sie etwas Verdorbenes gefressen hatte. Wenn sie es mit einem Brechmittel versuchte – eins der Gräser draußen auf der Wiese… Es könnte aber auch am Wetter liegen: ein ganzer Monat voll wolkenloser Tage. Vielleicht würde Ruhe helfen: einfach hier liegen und dem Quietschen von Mrs Noyes’ Schaukelstuhl lauschen.
    Mrs Noyes war aufgeregt, das spürte Mottyl. Ihre Gegenwart war voller Schwingungen; ein Zittern durchlief ihre Finger, als sie sich herabbeugte, um Mottyls Rücken zu streicheln. Mottyl fragte sich, ob ihr Frauchen vielleicht auch läufig sei – obwohl es nicht danach roch. Kein Blut; keine blutigen Stoff fetzen…
    Emma dagegen… Emma war ganz sicher läufig – vielleicht zum ersten Mal. Das junge Mädchen tat nichts als heulen und jammern, versteckte sich immerzu vor ihrem Mann, klammerte sich an ihren Hund – den entsetzlichen Bello – und schrie nach seiner Mutter. Menschen verhalten sich in dieser Situation äußerst seltsam – sie stampfen durch ihre Häuser, knallen Türen zu und schreien einander an, wenn sie läufig sind. Sie jammerten fortwährend – reagierten auf alles mit »Nein!«. Und hatten damit Erfolg – das war das Erstaunliche daran: Denn bis jetzt hatte Emma die Paarungsprozedur erfolgreich vermieden.
    Japeth, der Krieger, Emmas Ehemann, hatte endlich jegliches Interesse an der Sache verloren und verbrachte seine Zeit im Badhaus, wo er in einer Wanne mit heißem Wasser saß. Als ob es Wasser im Überfluss gäbe! Und wie konnte ein Mann das Interesse verlieren? Kein Einziger unter Mottyls Freiern hatte jemals das Interesse verloren. Gewiss nicht, bevor die Sache erledigt war.
    Sem und Hannah dagegen schienen recht zufrieden mit dem, was sie trieben. Doch obwohl sie es zu ihrem offensichtlichen Vergnügen taten, vermieden sie doch irgendwie, Kinder in die Welt zu setzen, was für Mottyl ein sehr großes Rätsel war. War es möglich, dass Menschen in dieser Sache die Wahl hatten?
    Was würde Doktor Noyes tun, wenn Mottyl sagen könnte: »Es wird keine Jungen mehr geben«?
    Keine Kätzchen mehr zum Töten.
     
     
    In diesem Moment hörte Mrs Noyes ein schrilles Blöken – das Zeichen, dass das Opferlamm ausgewählt worden war. Jeden Augenblick würde jetzt die Glocke läuten und sie würde gehen müssen.
    Sie schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu – aber es half nichts. Alles, was sie nicht wirklich hören und sehen wollte, konnte sie im Geiste sehen und vernehmen. Und wo war der Unterschied? Ihr Vorstellungsvermögen war ein Fluch und sie hätte sich sehnlichst gewünscht, damit nicht »gesegnet« zu sein. Gesegnet. Von wem kam eigentlich der Segen, fragte sie sich.
    Sie nahm die Hände wieder von den Ohren und trank in großen, tiefen Zügen ihren Gin. Ach, Gott! Alles war so schön da draußen vor der Veranda. Es war zum Weinen.
    »Auf, Mottyl. Komm, wein mit mir…«
    Da begann
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