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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut
Autoren: Timothy Findley
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Seiten. Ham war überwältigt worden – und hatte die Kontrolle über seine Gefangenen verloren. Sem, Hannah und Doktor Noyes waren frei. Doch auch Ham war frei, und seine Mutter und Luci und Emma ebenfalls.
    Noah hegte finsteren (und berechtigten) Verdacht gegen Ham – er war sicher, dass sein Sohn das Affen-Kind nicht nur gesehen hatte, sondern auch die richtige Schlussfolgerung hinsichtlich dessen Erzeugers gezogen hatte. Nichts davon wurde erwähnt, die Tatsache, dass es so war, hing jedoch wie ein Damoklesschwert über den beiden.
    Um die Oberhand zu gewinnen, verkündete Noah erneut die unverrückbare Wahrheit des Edikts.
    Jahwe hatte verfügt.
    Paarweise waren sie an Bord gekommen.
    Paarweise hatten sie die Fahrt bis jetzt überlebt, und offensichtlich lag der schlimmste Teil der Fahrt – wenn man den jetzt blauen Himmel und die Wiederkehr der Sonne in Betracht zog – hinter ihnen.
    Paarweise mussten sie durchhalten. Wenn nicht, wäre alles verloren: für alle. Ohne Ham und Luci und Mrs Noyes und Emma könnten die Arche und die Tiere nicht überleben – und Mrs Noyes und Emma und Luci und Ham könnten ohne Doktor Noyes und Schwester Hannah nicht überleben, deren Gebete und deren Verstand und Vertrautheit mit den Geboten Jahwes das Überleben aller an Bord garantiert hatten. (Merkwürdigerweise wurden in dieser Litanei weder Sem noch Japeth mit einem Wort erwähnt.)
    Nachdem er das alles im Beisein von Sem und Hannah angehört hatte, ging Ham hinaus und setzte sich in den Schatten des Portikus, hinter die Bienenstöcke und unterhalb von seiner Frau. Sie fragte ihn, was geschehen war – und er berichtete. Von dem Affen-Kind erzählte er allerdings nichts – er sagte nur, dass Hannahs Kind geboren und tot war.
    »Ja«, sagte Luci. »Und sie hat es über Bord geworfen. Genauso wie sie weiterhin alle Affen und alle Dämonen und alle Einhörner über Bord werfen werden, solange diese Fahrt noch andauert…«
    Ham kniff die Augen zusammen und schaute nach oben, doch er konnte von seiner Frau nur die Füße mit den Schwimmhäuten und den Saum ihres Kleides sehen – und den Oberbalken, auf dem es von Bienen wimmelte.
    »Was du sagst, klingt, als würde die Fahrt ewig dauern«, sagte er.
    »Vielleicht wird es so sein«, sagte Luci.
    Ham schwieg einen Moment. Dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten, die Frage drängte aus ihm heraus: »Warum hast du gesagt, sie würden weiterhin alle Affen über Bord werfen, nicht nur die Einhörner und Dämonen?«
    »Weil sie es tun werden.«
    »Aber – warum Affen?«
    »Was Hannah unter meinen Augen ins Wasser geworfen hat, war doch ein Affe.«
    »Woher hast du gewusst, dass es ein Affe war?«
    »Ich wusste von dem Augenblick an, als es gezeugt wurde, dass es ein Affe sein würde.«
    Ham hielt es für das Beste, nichts mehr über den Affen zu fragen, sonst könnte Luci ihn dazu bringen, etwas auszusprechen, was er nicht sagen wollte.
    »Liebst du deinen Vater?«
    (Sie wusste es!)
    »Ich achte ihn. Das ist meine Pflicht.«
    In das Summen der Bienen hinein sagte Luci: »Ich wünschte, ich könnte dir beibringen, mehr Angst zu haben.«
    »Du hast keine Angst«, sagte Ham.
    »Doch«, sagte Luci.
    »Wirklich?«
    »Ja. Mit ganzem Herzen.«
    Da kam Mrs Noyes durch den Portikus und ging suchend um Ham herum.
    »Wo ist dein Vater?«, fragte sie.
    »Ich glaube, er ist zum Beten gegangen.«
    Mrs Noyes schwieg, ging aber weiter und setzte sich auf die Treppe, die zum Afterdeck führte. Dort zog sie ihre Schürze über den Kopf als Schutz vor der Sonne.
    Als Nächstes kam Emma, die sich – wortlos – auf die oberste Stufe der Treppe setzte, die in den Laderaum führte. Sie hatte eine große weiße Taube dabei.
    Niemand sagte etwas.
    Jeder von ihnen beobachtete das Kastell: spekulierte – und wartete.
    Was würde Jahwe zu Noah sagen?
    Was würde Noah zu ihnen sagen?
     
     
    In der Kapelle schloss Noah die Tür und war jetzt völlig allein.
    Das silberne Kätzchen lag noch immer auf dem Altar.
    Ein Wunder – Unsinn!
    Es war die ganze Zeit nur Mrs Noyes’ verflixte Katze gewesen!
    Er stierte die Ikonen an; stierte den Altar an; stierte die Großen Roten Schatullen der Weisheit an.
    »Wo seid Ihr?«, fragte er. »WO SEID IHR?«
    Die Ikonen – der Altar – die Schatullen schwiegen. Nur der Weihrauch bemühte sich um eine Antwort, fiel leise in sich zusammen und hörte zu rauchen auf.
    »Alle anderen sind tot«, flüsterte Noah. »Warum nicht auch Jahwe?«
    Er schaute die Ikonen
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