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Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)

Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)

Titel: Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
Autoren: Noelle Mack
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ihm.»
    «Das hast du doch auch in Wirklichkeit getan.»
    «Manchmal gewinnt er, und manchmal gewinne ich.» Er seufzte schmerzlich. «Ich bin in seinen Augen nichts weiter als eine wilde Bestie. Aber ich selbst weiß, dass ich mehr bin. Verstehst du?»
    Sie nickte. Während er sprach, kehrten die Erinnerungen an jede qualvolle Minute des Erlebten in ihr Gedächtnis zurück. Angelica kniff die Augen zusammen, aus denen Tränen traten. Sie wischte sie fort, noch bevor sie mit seiner Haut in Berührung kommen konnten, doch Semjon merkte trotzdem, dass sie weinte.
    «In dem Traum, der mich weckte, stand ich gerade kurz davor, ihm den Hals umzudrehen. Aber du hieltest mich davon ab.»
    Sie klammerte sich noch fester an ihn, als könnte sie so die Erinnerungen irgendwie vertreiben.
    Semjon drückte ihr einen Kuss auf das zersauste Haar. «Ich habe mich immer als zivilisierten Menschen gesehen, weißt du. Als den Inbegriff des englischen Gentleman. Aber was daruntersteckt, ist wohl tatsächlich ungebändigte Wildheit.»
    «Sprich nicht weiter davon», flehte sie ihn an. «Versuch zu schlafen.»
    Er nahm sie in die Arme, die ebenso tröstend wie stark waren. «Ja, du hast ganz recht. Die Folgen unseres Plans werden sicher unangenehm werden, aber es wird Zeit, dass sich jemand St. Sin in den Weg stellt und ihn aufhält.»
    «Ja», stimmte sie ihm zu.
    «Iwan hat mir erzählt, dass unsere Kontakte bei Hof bereits Bescheid wissen. Wir hielten es für besser, die Sache nicht länger zu verschweigen – für den Fall, dass er das Land verlässt. Sie werden die Sache eingehend untersuchen. Aber was rede ich da nur? Das musst du alles gar nicht wissen. Ich werde dich von hier fortbringen, meine Liebste. Aufs Land. Wir brechen zusammen auf, sobald ich …»
    «Sssh», unterbrach sie ihn.
    «Verzeih, meine Liebe. Du musst schlafen.»
    «Genau wie du.»
    In gegenseitiger Umarmung warm eingekuschelt und von einer alles verschlingenden Erschöpfung übermannt, sank das Paar erneut in den Schlaf. Beider Träume waren von namenlosem Entsetzen angefüllt – von dem, was sie erlitten, gesehen oder sich auch nur vorgestellt hatten.
    Semjon wälzte sich unruhig hin und her und sprach in seinem Albtraum sogar mit seinem Peiniger.
    Du bist es, der hier nicht menschlich ist, Sin. Du trägst keinerlei Mitgefühl in dir.
    Semjon starrte in voller Wolfsform auf den großen Mann auf der Bühne und hörte, wie das Publikum lachte und brüllte.
    «Und du bist wie ein verreckender Hund an einer Kette», erwiderte Sin und ließ seine Gerte zischend durch die Luft sausen. Semjon wurde immer wütender.
    Doch in seinem Traum drehte er dem Mann weder den Hals um, noch ging er auf ihn los.
    Stattdessen fixierte er Sin mit derart stechendem Blick, dass dieser völlig still in der Mitte der Bühne stehenblieb. So stechend, dass Semjon tatsächlich in den Geist von Sin eindringen konnte.
    Kein Mitleid. Keine Güte. Keine Seele. Ohne ihn zu berühren, bohrte Semjon sich tief in Sins gestörten Verstand.
    «Aaaah!» Aus Sins Mund drang ein einziger, entsetzlicher Schrei.
    Du bist leer! Leer!!
    In Semjons Albtraum hallten die letzten Worte einmal wider und drangen dann durch einen immer stärker werdenden Nebel in seinen eigenen Kopf ein. Semjon schreckte erneut aus dem Schlaf hoch. Und er fror am ganzen Leib.
    Als er auf die immer noch schlafende Angelica schaute, beschloss er, ihr nicht davon zu erzählen. Voller Unruhe und mit vor namenloser Angst ganz steifem Körper schmiegte er sich an sie.
    Auf der anderen Seite der Stadt war in Sins Schlafgemach derweil ein echter Schrei zu hören. Doch diejenigen, die ihn hörten, waren im Haus beschäftigt und unternahmen nichts.
    Der Schrei kam von Sin selbst. Sein Oberkörper kippte starr gegen das besudelte Kopfkissen, der Mund verzog sich, und die Augen rollten wie wild in ihren Höhlen umher. Er zuckte am ganzen Körper.
    Während seines Martyriums sah er nur die Augen des Wolfes vor sich. Goldene Augen, die ihn ganz und gar durchdrangen.
    Und dann starb er.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel Einundzwanzig
Monate später …
    «Sollen wir die Kleinen rauslassen, Natalja? Oder wollen sie rein?»
    Das Jaulen vor der Tür, die zu einem abgeschlossenen, kleinen Flur führte, war immer lauter geworden.
    Natalja lachte und ließ einen Kamm durch ihr endlos langes Haar gleiten. «Schwer zu sagen. Aber lass sie vielleicht doch lieber nicht rein. Nicht, bis ich mein Haar fertig geflochten und hochgesteckt habe. Sie
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