Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
That rettete Tchung-Heu’s Edelmuth damals Wang das Leben, ein Edelmuth, der dem Ersteren den eigenen Kopf gekostet hätte, wenn man vermuthete, daß er einem Rebellen Zuflucht gäbe. Tchung-Heu gehörte aber zu den Männern der alten Zeit, denen jeder Gast heilig war.
    Einige Jahre später erlag die Empörung vollständig. Schon 1864 nahm das Oberhaupt der Taï-Ping in Nan-King, wo er residirte, Gift, um nicht den Kaiserlichen in die Hände zu fallen.
    Seit dem erwähnten Tage blieb Wang in dem Hause seines Wohlthäters. Ueber seine Vergangenheit verlangte Niemand Ausschluß, Niemand richtete deshalb auch nur eine entfernte Frage an ihn. Vielleicht fürchtete man mehr zu hören, als erwünscht sein mochte. Die durch die Rebellen begangenen Grausamkeiten wurden als wahrhaft fürchterliche geschildert. Ob nun Wang unter dem schwarzen, rothen, gelben oder weißen Banner gedient, wollte man am liebsten nicht wissen, und bestrebte man sich, den guten Glauben zu bewahren, daß er nur dem Verproviantirungs-Heere angehört habe.
    Der mit dem ihm zugefallenen Lose so glückliche Wang wurde also der stete Genosse des gastlichen Hauses. Auch nach Tchung-Heu’s Ableben wollte sich der Sohn auf keinen, Fall von ihm trennen, so sehr hatte er sich an die Gesellschaft des liebenswürdigen Mannes gewöhnt.
    Wer hätte aber auch zur Zeit des Beginnes unserer Geschichte einen alten Taï-Ping – einen Mörder, Plünderer oder Brandstifter, ganz nach Belieben – in jenem fünfzigjährigen Philosophen, dem Moralprediger mit der Riesenbrille, jenem chinesischen Chinesen mit den schiefen geschlitzten Augen und dem althergebrachten Schnurrbart wieder erkannt? Gab ihm nicht sein langes Oberkleid von wenig auffallender Färbung, sein in Folge von Fettleibigkeit etwas nach oben gerutschter Gürtel, die nach kaiserlicher Vorschrift geordnete Frisur nebst der Kopfbedeckung, das heißt einer Art Pelzhut, von dessen Rande eine Quaste von rothen, Fäden herabhing, vollkommen das Aussehen eines würdigen Professors der Weltweisheit, eines jener Gelehrten, die sich aller 80.000 Zeichen der chinesischen Schrift mit Geläufigkeit zu bedienen wissen, eines Eingeweihten der höheren Sprachweise, eines mit Auszeichnung Geprüften, der damit das Recht erlangt hatte, in Peking durch das große, nur für bevorzugte Söhne des Himmels reservirte Thor zu gehen?
    Vielleicht hatte der frühere Rebell, seine blutige Vergangenheit vergessend, sich im Umgange mit dem wackeren Tchung-Heu zähmen gelernt und war allmälich auf den Weg der speculativen Philosophie übergeleitet worden. So waren auch an jenem Abend Kin-Fo und Wang, die sich niemals trennten, bei dem geschilderten Abschiedsschmaus zusammen in Canton und gingen ebenso miteinander längs der Quais hin, um den Dampfer aufzusuchen, der sie in kurzer Zeit wieder nach Shang-Haï zurückführen sollte.
    Kin-Fo wanderte schweigsam, selbst etwas sorgenvoll dahin. Wang blickte weder nach rechts, noch nach links, philosophirte über den Mond und die glitzernden Sterne, ging lächelnd durch das »Thor der ewigen Reinheit«, das er für sich nicht zu hoch fand, ferner durch das »der ewigen Freude«, dessen Flügel nur für ihn geöffnet schienen, und verschwand endlich im Schatten der Thürme der Pagode »Zu den fünfhundert Gottheiten«.
    Hier lag der Steamer »Perma« schon unter Dampf. Kin-Fo und Wang nahmen die beiden für sie aufbewahrten Cabinen ein. Die rasche Strömung des Perlenflusses, der mit seinem Schlamme täglich die Leichname Hingerichteter dem Meere zuwälzt, verlieh dem Schiffe eine außerordentliche Schnelligkeit. Einem Pfeile gleich, flog der Dampfer vorüber an Ruinen, welche von den Kanonen Frankreichs herrührten, vor der neun Etagen hohen Pagode Haf-Way’s, vor der Jardyne-Spitze, nahe bei Whampoa, wo die größeren Schiffe vor Anker gehen, und zwischen den Inseln und Bambusdickichten der beiden Ufer dahin.
    Die hundertfünfzig Kilometer, das heißt die dreihundertfünfundsiebzig »Lis«, welche Canton von der Mündung des Stromes trennten, wurden im Laufe der Nacht zurückgelegt.
    Mit Sonnenaufgang passirte die »Perma« den »Rachen des Tigers« und endlich die beiden Hafenmauern an der Küste. Einen Augenblick leuchtete der 1825 Fuß hohe Victoria-Peak der Insel Hong-Kong durch den Morgennebel, und nach ungemein günstiger Ueberfahrt dampften Kin-Fo und unser Philosoph erst in dem gelblichen Wasser des Blauen Flusses hinauf und landeten endlich in Shang-Haï, an dem zur Provinz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher