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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China
Autoren: Jules Verne
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Dutzend Bambusstangen, von denen noch die Köpfe der am Tage vorher Hingerichteten herabgrinsten.
    »Vielleicht, sagte er halblaut, gäb’ es doch etwas Besseres zu thun, als Köpfe abzuschlagen. Man thäte gescheidter daran, die Leute etwas aufgeklärter zu machen!«
    Kin-Fo entging offenbar Wang’s Ausspruch, der ihn, als von einem alten Taï-Ping herrührend, gewiß verwundert hätte.
    Beide folgten dem Quai, der sich um die Mauern der chinesischen Stadt herum fortsetzt, schweigend weiter.
    Am Ende der Vorstadt, nahe der französischen Niederlassung, erregte ein Eingeborner in langem, blauem Oberkleide, der mit einem kleinen Stock auf ein dumpf tönendes Büffelhorn schlug, die Aufmerksamkeit der Menge.
    – Ein Sien-cheng, begann der Philosoph.
    – Was geht das uns an? erwiderte Kin-Fo.
    – Freund, fuhr Wang fort, befrage ihn um Deine Zukunft. Jetzt, da Du Dich verheirathen willst, ist es die passendste Zeit.«
    Kin-Fo wollte seinen Weg fortsetzen. Wang hielt ihn zurück.
    Der »Sien-cheng« ist eine Art populärer Prophet, der für einige Sapeken den Leuten die Zukunft vorhersagt. Als professionelle Geräthschaften führt er nichts Anderes bei sich als einen Käfig mit einem kleinen Vogel darin, den er, an einen Rockknopf gehängt, trägt, und ein Spiel von vierundsechzig Karten, welche die Gestalten von Göttern, Menschen und Thieren darstellen. Die im Allgemeinen abergläubischen Chinesen aller Klassen legen auf diese Weissagungen des Sien-cheng, der sie wahrscheinlich selbst nicht sehr ernst nimmt, dennoch hohen Werth.
    Auf ein Zeichen Wang’s breitete jener einen baumwollenen Teppich auf der Erde aus, setzte den Vogelbauer in dessen Mitte, ergriff sein Kartenspiel, mischte dasselbe und breitete es, die Bilder verdeckt, auf dem Teppich aus.
    Hierauf öffnete er die Thür des Käfigs. Der kleine Vogel hüpfte heraus, wählte eine Karte aus und schlüpfte, belohnt mit einem Reiskörnchen, in seinen Bauer zurück.
    Der Sien-cheng wendete die Karte um. Diese zeigte das Bild eines Mannes nebst einigen Worten in Kunan-runa-Schriftzügen, der officiellen Mandarinensprache des Nordens, welcher sich die gebildeten Leute zu bedienen pflegen.
    Darauf wandte sich der Weissager an Kin-Fo und prophezeite ihm, was wahrscheinlich auch alle Collegen desselben, ohne sich zu compromittiren, gesagt hätten, daß er nach einer demnächstigen Prüfung zehntausend Jahre des reinsten Glückes zu gewärtigen habe.
    »Eines, antwortete Kin-Fo, nur ein einziges, die übrigen will ich Dir schenken!«
    Dann warf er einen Silber-Taël auf die Erde, auf den sich der Prophet wie ein verhungerter Köter, dem man einen guten Knochen anbietet, eiligst stürzte. Solch’ ein Glücksregen traf ihn nicht alle Tage.
    Nachher begaben sich Wang und sein Schüler nach der französischen Kolonie hin, der Erstere in Gedanken über jene Vorhersagung, die mit seinen eigenen Ansichten über das Glück so auffallend übereinstimmte, der Andere in der Ueberzeugung, daß ihn keine Prüfung treffen könne.
    So kamen sie am Gebäude des französischen Consulats vorbei, überschritten, eine Strecke weiterhin, die kleine Brücke über den Yang-King-Pang, und schlugen nun eine schräg durch die englische Niederlassung führende Richtung ein, um nach dem Quai des europäischen Hafens zu gelangen.
    Jetzt läutete es zum Mittagsessen. Die vorher so lebhaften Geschäfte fanden wie durch Zauberschlag ein Ende. Der Arbeitstag war sozusagen geschlossen, nun folgte die Ruhe auf das Lärmen, selbst in der englischen Stadt, welche in dieser Beziehung ganz chinesisch geworden war.
    Eben langten mehrere Schiffe, die meisten unter der Flagge des Vereinigten Königreichs, im Hafen an. Leider muß man sagen, daß unter je zehn neun derselben mit Opium befrachtet sind. Diese entnervende Drogue, mit der England das Reich der Mitte überschwemmt, veranlaßt einen Handel, dessen Werth mehr als zweihundert Millionen Mark beträgt und der wohl dreihundert Procent Nutzen abwirft. Vergebens bemühte sich die chinesische Regierung, die Einfuhr von Opium in das Himmlische Reich zu verhindern. Der Krieg von 1841 und der Vertrag von Nan-King haben den englischen Waaren unbehinderten Eingang und den Großmoguls des Handels gewonnenes Spiel gegeben. Hierzu kommt noch, daß, wenn die Regierung in Peking auch jeden Chinesen, der Opium verkaufen würde, mit dem Tode bedroht, doch selbst die höchsten Beamten derselben gegen klingende Münze darüber mit sich reden lassen. Man behauptet
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