Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
jetzt nur noch die vier, auf das Blumenschiff eingeladenen Freunde übrig geblieben. Die übrigen, welche die Wechselfälle des Lebens nach allen Seiten hin verschlagen hatte, hätte er heute wohl vergeblich um sich zu vereinigen gesucht.
    Kin-Fo wohnte zu der Zeit in Shang-Haï, und nur um seine tödtliche Langweile zu unterbrechen, begab er sich für einige Tage nach Canton. Noch an demselben Abend gedachte er jedoch den Dampfer zu benutzen, der die Hauptküstenpunkte jener Provinz anläuft, um ruhig nach seinem Yamen zurückzukehren.
    Wenn Wang dabei Kin-Fo begleitete, so erklärt sich das dadurch, daß er seinem ehemaligen Schüler, den er auch jetzt noch täglich zu belehren suchte, eben niemals von der Seite wich. Dieser freilich schlug die guten Lehren meist in den Wind. Wie viele schöne Grundsätze und Sprüche der Weisheit gingen dabei verloren! Doch die »Theorien-Maschine« – wie der Lebemann Tim sich äußerte – arbeitete unverdrossen weiter.
    Kin-Fo war so in rechtem Sinne des Wortes der Typus jener Chinesen des Nordens, deren Race einer vollständigen Umwandlung entgegengeht, während sie sich vor einer Vermischung mit den Tataren zu bewahren wußten. In den südlichen Provinzen, wo die höchsten wie die niedrigsten Klassen sich vielfach mit der Mantschu-Race kreuzten, trifft man kaum jemals auf solche Erscheinungen. In Kin-Fo’s Adern rollte, weder von Seite seines Vaters noch seiner Mutter, deren Familien sich seit der Zeit der Eroberung des Reiches sehr zurückgezogen hatten, auch nicht ein Tropfen tatarischen Blutes. Groß, wohlgebaut und von mehr weißer als gelber Hautfarbe, konnte er mit seinen geradlinigen Augenbrauen, den horizontalen oder doch nur unmerklich nach den Schläfen hin aufsteigenden Augen, der feingeschnittenen Nase und bei seinem keineswegs abgeplatteten Gesicht recht wohl mit den schönsten Erscheinungen der abendländischen Völker in die Schranken treten.
    Den Chinesen erkannte man in Kin-Fo wirklich nur an dem sorgsam rasirten Schädel, der Stirn und dem bartlosen Kinn, sowie an dem prächtigen Zopfe, der vom Hinterhaupte aus wie eine Schlange aus Bergwachs über den Rücken herabfiel. Sehr sorgfältig bezüglich seiner äußeren Erscheinung, trug er einen seinen, die Lippen halbkreisförmig überdachenden Schnurrbart und ein Bärtchen unter denselben, das dem Punkte unter einer Note auffallend ähnlich sah. Seine Nägel waren über einen Centimeter lang, ein Beweis seiner Zugehörigkeit zu denjenigen Gesellschaftsklassen, welche auch ohne zu arbeiten, leben können. Vielleicht trug auch die Nonchalance seines Auftretens neben einer gewissen Hochmüthigkeit seiner Haltung zu der vollendeten Erscheinung des »großen Herrn« bei, die sich in seiner ganzen Person ausprägte.
    Uebrigens rühmte sich Kin-Fo, in Peking geboren zu sein, worauf alle Chinesen ohne Unterschied sehr stolz sind. Er konnte Jedem, der ihn fragte, mit ruhigem Selbstbewußtsein antworten: »Ich bin von hohem Stamme!«
    Sein Vater Tchung-Heu wohnte nämlich zur Zeit der Geburt des Sohnes in Peking, und dieser hatte sich erst seit sechs Jahren in Shang-Haï niedergelassen.
    Dieser würdige, einer hervorragenden Familie aus dem Norden des Reiches entstammende Chinese besaß, wie die meisten seiner Landsleute, sehr entwickelte Anlagen zum Handel. Während der ersten Jahre seiner selbständigen Thätigkeit kaufte, verkaufte und exportirte er alle Erzeugnisse des dichtbevölkerten Landes, Papier aus Sevatow und Seidenwaaren aus Su-Tchen ebenso wie candirten Zucker aus Formosa, Thee aus Hankow und Foochow, Eisen aus Hanon wie rothes und gelbes Kupfer aus der Provinz Yunanne. Sein Hauptgeschäft, sein »Hong«, befand sich in Shang-Haï, doch besaß er auch Filial-Comptoirs in Nan-King, Tien-Tsin, Macao und Hong-Kong. Sehr vertraut mit europäischen Zuständen, beförderten ihm die englischen Dampfer seine Waarenballen und übermittelte ihm der elektrische Draht die Marktpreise der Seidenstoffe in Lyon und des Opiums in Calcutta. Er befreundete sich schnell mit jedem Kulturfortschritte, wie mit dem Dampfe und der Elektricität, im Gegensatze zu den meisten Chinesen, welche sich dagegen ablehnend verhalten unter dem Einflusse der Mandarinen und der Regierung, deren Ansehen dadurch mehr und mehr abnimmt.
    Kurz, Tchung-Heu ging sowohl rücksichtlich des Binnenhandels im Reiche selbst wie bei seinen Transactionen mit den portugiesischen, deutschen, englischen, französischen und amerikanischen Geschäftshäusern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher