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Die Legende der Wächter 8: Die Flucht

Die Legende der Wächter 8: Die Flucht

Titel: Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
Autoren: Katharina Orgaß
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entdeckt, dass ich manchmal die Gedanken anderer Eulen lesen kann. Mein Großvater konnte durch Felsen hindurchschauen und ich schaue in mein Gegenüber hinein. Das soll natürlich nicht heißen, dass du einen Kopf aus Stein hast. Wie schon gesagt, mit dir hat es viel mehr auf sich, als du ahnst, Ny…“ Sie hielt inne. „Ich finde, du brauchst einen neuen Namen. Wir müssen dich doch irgendwie anreden.“
    „Willst du damit sagen, dass ich eine Weile hierbleiben darf?“
    „Eine Weile.“
    Aber bloß nicht zu lange, stimmt’s? Ob ich jemals eine neue Heimat finde? , dachte Nyroc verzagt.
    Nebel wusste auch diesmal, was in dem jungen Schleiereulerich vorging, aber sie wollte nicht aufdringlich sein. Seine Gedanken und sein Magengefühl waren seine Sache.
    „Glaubst du, dass ich irgendwann meinen Onkel Soren kennenlerne und bei ihm im Großen Ga’Hoole-Baum leben darf?“
    „Das kann gut sein – aber jetzt ist es noch zu früh dafür. Erst hast du eine Aufgabe zu erfüllen.“
    „Ich weiß. Musste Soren auch eine Aufgabe erfüllen, bevor er im Großen Baum aufgenommen wurde?“
    „Schon, aber …“ Der Schmied Gwyndor hatte Nebel erzählt, dass Nyroc die Gabe des Feuersehens besaß und dass sich ihm die sagenumwobene Glut von Hoole offenbart hatte. Wenn das stimmte, führte Nyrocs Weg in die fernen Hinterlande. Er musste die Glut von Hoole aus dem Vulkan bergen. Entweder kam er dabei ums Leben oder es gelang ihm … Unvorstellbar, was das für die gesamte Eulenwelt bedeuten würde!
    „Aber was?“, bohrte Nyroc nach.
    „Ja, auch dein Onkel hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Aber deine Aufgabe ist weit schwerer.“
    „Das ist ungerecht! Nur weil meine Eltern so grausam herrschten … Ich habe nicht darum gebeten, aus ihrem Ei zu schlüpfen.“
    „Tja, das Leben ist manchmal ungerecht. Aber bei deiner Aufgabe geht es nicht um Gerechtigkeit und auch nicht um deine Eltern.“
    Nyroc blinzelte. „Geht es etwa um … um …“ Er brachte es nicht über die Zunge.
    „Du hast es lange verdrängt, aber so ist es: Deine Aufgabe führt dich in die Hinterlande.“
    Nyroc drehte sich der Magen um. Alle, denen er während seiner Flucht vor den Reinen begegnet war, erzählten ihm dasselbe: die Geisterkäuzin, die beiden Bartkäuze und jetzt Nebel.
    „In den Hinterlanden leben lauter Ausgestoßene“, sagte er mürrisch. „Deswegen muss ich dorthin, nicht wahr? Weil ich anderswo nicht willkommen bin.“
    „Du irrst dich gewaltig!“, entgegnete Nebel mit Nachdruck. Die Luft um sie herum flimmerte noch stärker als zuvor und die Sonne schien durch ihr Gefieder. „So darfst du nicht denken. Und von Müssen kann auch keine Rede sein.“
    „Wieso nicht?“
    „Weil du einen freien Willen hast. Nur eins musst du: entscheiden, ob du die Aufgabe annimmst.“
    „Und wenn ich sie annehme, was passiert dann?“
    „Dann wirst du deine Bestimmung finden.“
    „Ich weiß nicht, was ich machen soll …“
    „Darum sollst du ja auch eine Weile hierbleiben und es dir in Ruhe überlegen.“
    „Ist gut.“
    „Kommen wir wieder zu deinem neuen Namen.“
    „Ja?“
    „Du musst ihn dir selbst aussuchen. Kannst du überhaupt lesen?“
    Nyroc schüttelte den Kopf. „Kennst du wenigstens das Alphabet?“
    „Ich kenne zwei Buchstaben.“
    „Welche denn?“
    „P und H.“
    Nebel wunderte sich. Im Namen des jungen Eulerichs kamen diese beiden Buchstaben doch gar nicht vor.
    „Und warum gerade P und H, wenn ich fragen darf?“
    „Weil das die Anfangsbuchstaben von ,Philipp‘ sind, dem Namen meines besten Freundes. Er wollte mir noch mehr Buchstaben beibringen und überhaupt Lesen und Schreiben, aber dazu kam es nicht mehr, weil …“, Nyroc schluckte schwer, „… weil meine Mutter ihn umgebracht hat.“ Nyroc hatte mit ansehen müssen, wie seine eigene Mutter seinem Freund mit ihrem scharfen Schnabel die Brust aufgeschlitzt hatte.
    Auch Nebel erblickte das blutige Schauspiel vor ihrem inneren Auge. Was für eine niederträchtige Mutter der arme Kleine hatte! Er musste dringend zur Ruhe kommen. Sie würde ihn ein bisschen verwöhnen und ihm von Eulen erzählen, die hilfsbereit und edelmütig waren. Sie würde ihm vom Großen Baum und seinen Bewohnern erzählen, die Nacht für Nacht ausflogen und Gutes taten. Die Eulen von Ga’Hoole sprachen niemals ein unwahres Wort. Sie wollten alles Unrecht ausrotten, die Schwachen stärken, die Verzweifelten wieder aufrichten, die Stolzen in die Schranken weisen und jene
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