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Die Legende der Wächter 8: Die Flucht

Die Legende der Wächter 8: Die Flucht

Titel: Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
Autoren: Katharina Orgaß
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Mengen von magnetischen Tupfen. Das ist für die Eulen dort ein Fluch und zugleich ein Segen. Manche entwickeln unter dem Einfluss der Tupfen ganz besondere Fähigkeiten. Mein Vater konnte zum Beispiel durch Felsen hindurchschauen.“
    „Echt?“
    „Ja, es ist wirklich erstaunlich. Meine Großmutter wiederum wurde davon gaga – sie verlor den Verstand und ihr Magengespür.“
    „Wie schrecklich.“ Eine Eule, die sich nicht mehr auf ihren Magen verlassen kann! Nyroc konnte sich kaum etwas Entsetzlicheres vorstellen. Nur die Flügel zu verlieren, war schlimmer.
    Die Käuzin Nebel fuhr fort: „Bei anderen Bewohnern Ambalas leidet der Orientierungssinn unter den Tupfen. Ich selbst habe noch Glück gehabt. Ich bin einfach nur sehr klein geblieben. Es hat Jahre gedauert, bis ich Flugfedern bekam, und ich war nie eine besonders ausdauernde Fliegerin.“
    „Aber warst du auch schon immer so … so …“ Nyroc suchte nach den richtigen Worten.
    „So durchsichtig, meinst du? Nein, das kam erst im Alter. Meine Federn wurden weiß, manche sogar durchscheinend.“ Die Käuzin zupfte sich behutsam eine Feder von der Brust und hielt sie Nyroc hin. „Da – sieh selbst!“
    Nyroc kniff die Augen zusammen, aber es gelang ihm nicht, die Feder deutlich zu erkennen.
    „Beim Glaux – so was habe ich noch nie gesehen!“
    „Da bist du nicht der Einzige. So ergeht es einem eben, wenn man durchsichtig wird.“ Die Käuzin tschurrte wieder und das Adlermännchen stimmte ein. Sogar die stumme Donner brachte ein Glucksen zustande. Und auch die beiden Schlangen, die ihre grünen Leiber um die Äste des Adlerhorstes geflochten hatten, lachten herzlich. „Wobei Durchsichtigkeit auch ihre Vorteile hat“, setzte die Käuzin hinzu.
    „Weil man nicht entdeckt wird, wenn man jemanden beobachtet?“, fragte Nyroc. „Seit ich in diesem Wald bin, fühle ich mich verfolgt.“
    Nebel nickte. Wenn sie sich bewegte oder tschurrte, schien die Luft um sie herum zu flimmern.
    „Aber jetzt bin ich mit Fragen dran. Wir haben uns dir vorgestellt, aber du hast uns deinen Namen noch nicht verraten.“
    „Ich … ich …“ Nyrocs Magen zog sich zusammen. Er gab sich einen Ruck. „Ich habe keinen Namen. Ich habe keine Eltern. Und keine Heimat.“
    „Aha … aha … aha“, machte Nebel und ihr Nicken war nur ein Flirren in der Luft. „Das wundert mich. Denn ich hätte schwören können – und ihr bestimmt auch, Blitz und Donner – dass dieser junge Eulerich eine verblüffende Ähnlichkeit mit …“
    Nyroc schloss instinktiv die Ohrschlitze. Er wollte es nicht hören. Gleich ist alles aus! Meine Narbe hat mich verraten!
    „… mit Soren hat“, sagte Nebel.
    Die beiden Silben dieses Namens drangen selbst durch Nyrocs verschlossene Ohrschlitze.
    „Wie bitte?“, rief er schrill aus.
    „Ganz meine Meinung“, sagte Blitz.
    „Habt ihr denn mein Gesicht nicht gesehen?“
    „Doch“, erwiderte Nebel ruhig.
    „Aber meine Narbe!“
    „Die ist uns nicht entgangen.“
    „Aber … aber …“
    „Weißt du, ich schaue einer fremden Eule immer zuerst in die Augen. In den Augen wohnt nämlich die Persönlichkeit. Und in deinen kohlschwarzen Augen glimmt ein Licht, genau wie bei Soren. Auch deine Eltern haben schwarze Augen, aber ihre Augen leuchten kein bisschen.“
    Nyrocs Magen spielte verrückt. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. „Heißt das … heißt das, du hast die ganze Zeit gewusst, wer ich bin und wo ich herkomme?“
    „Aber ja, Schätzchen.“
    „Und warum hast du dann nicht gleich etwas gesagt?“
    „Weil ich es von dir hören wollte. Ich habe dich gestern Abend am See beobachtet, als du dich von deiner Herkunft, deinen Eltern, deinem Volk und sogar von deinem Namen losgesagt hast. Du hast übrigens Recht. Du bist mehr als all das. Viel, viel mehr!“
    Nyroc rief sich ins Gedächtnis, was ihm am Seeufer durch den Kopf gegangen war: In meinen Adern fließt das Blut meiner Eltern, das ist nicht zu ändern. Aber mein Herz, mein Magen und mein Verstand gehören mir allein. Ich bin aus dem Ei meiner Mutter geschlüpft, aber ich bin weder ihr Sohn noch bin ich der Sohn meines Vaters. Ich sage mich von meinen Eltern los! Ab heute habe ich keine Eltern mehr. Ich will auch nicht länger den Namen Nyroc tragen. Ich habe keinen Namen mehr.
    „Woher weißt du das?“, fragte er. „Ich habe es nicht ausgesprochen. Ich habe es nur gedacht!“
    „Das liegt vermutlich auch am Einfluss der Tupfen. Im Alter habe ich
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