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Die Legende der Wächter 8: Die Flucht

Die Legende der Wächter 8: Die Flucht

Titel: Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
Autoren: Katharina Orgaß
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dreißig Tage war er im Adlerhorst geblieben. Bei seiner Ankunft hatte der Mond im vollen Schein gestanden. Dann war er allmählich geschwunden, bis er nur noch eine hauchfeine Dunenfeder gewesen war. Doch schließlich hatte er sich erneuert und wieder gerundet. Der Sommer näherte sich dem Ende, der Herbst stand kurz bevor. Bei den Wächtern von Ga’Hoole sprach man von der kupferroten Zeit.
    In diesen dreißig Nächten hatte Coryn unglaublich viel über den Großen Baum, die Wächter und ihre Legenden gelernt. Nur mit den Legenden des Feuerzyklus, die Coryn besonders spannend fand, schien Nebel sich nicht gut auszukennen. Aber Coryn machte ihr das nicht zum Vorwurf. Sie hatte ihm so viel anderes beigebracht.
    Merkwürdigerweise konnte er sie inzwischen auch besser sehen. War es nur seine Vorstellungskraft, die ihren verschwommenen Umriss mit Farbe und Einzelheiten füllte? Er konnte jetzt sogar ihre Augen erkennen, wunderschöne, gelbbraune Augen. Wenn er länger in diese Augen schaute, las er darin die Frage: Wie wird sich Coryn entscheiden?
    Ja, die Zeit war reif für eine Entscheidung. Er konnte sich nicht ewig bei den Adlern verkriechen. Er musste weiterziehen – in die Hinterlande oder woandershin. Er musste seiner Bestimmung folgen. Coryn freute sich über seinen neuen Namen, nicht nur, weil er ihn zu jemand anders gemacht hatte. Er war vor allem stolz, dass er als Coryn so viel gelernt hatte. Jetzt konnte er lesen und schreiben wie die Eulen im Großen Baum. Er kannte sich mit den Sternbildern aus und konnte sich beim Fliegen an ihnen orientieren. Und er hatte von Nebel die blutige Geschichte seiner Eltern erfahren. Das alles hatte ihn für immer verändert.
    Trotzdem war ihm klar, dass man ihn überall, wo er hinkam, als Ausgestoßenen behandeln würde. Der neue Name hatte nichts an seinem Aussehen geändert. Man würde ihn sofort mit seinen Eltern und ihren Gräueltaten in Verbindung bringen. Diese Gewissheit half ihm bei seiner Entscheidung. Denn nur durch eigene Taten konnte er der Eulenheit beweisen, dass er nichts mit Nyra, Kludd und den anderen Reinen gemein hatte.
    „Es ist so weit.“ Coryn blickte Nebel fest an. „Du weißt schon, wie ich mich entschieden habe, stimmt’s?“
    „Nein, diesmal nicht“, lautete Nebels Antwort. Blitz und Donner rückten näher heran. Slinella und Stingill ringelten sich um einen aus dem Nest ragenden Ast.
    „Warum nicht?“
    „Weil ich mir verboten habe, deine Gedanken zu lesen. Das ist mir schwergefallen, aber ich wollte dich nicht beeinflussen.“
    „Hast du aber.“
    „Oje – wie denn?“
    „Durch alles, was du mich gelehrt hast. Ich muss in die Hinterlande fliegen, auch wenn ich nicht weiß, was mich dort erwartet. Ich habe Angst.“
    „Nur Dummköpfe kennen keine Angst.“
    „Aber mein Wunsch, eines Tages im Großen Baum zu leben, ist stärker als meine Angst. Ich will meinen Onkel Soren und meine Tante Eglantine kennenlernen. Sie gehören zu denjenigen in meiner Familie, die einen guten Charakter haben. Und die Bedingung dafür ist, dass ich zuerst in die Hinterlande fliege.“
    „Und du tust es aus freiem Willen?“, vergewisserte sich Nebel.
    „Ja.“
    So waren alle damit einverstanden, dass Coryn in der folgenden Nacht aufbrechen sollte.
    „Wir müssen noch mal über die Gerüchte sprechen, Coryn.“
    „Ich weiß, Nebel.“ Blitz und Donner hatten die Neuigkeit aufgeschnappt: Es hieß, die Reinen entführten für ihr neues Heer wehrlose Jungeulen.
    „Sie haben sich sogar auf Nestraub verlegt, wie damals die Sankt-Ägolius-Eulen“, berichtete Blitz. „Aber nicht hier in Ambala, sondern im Grenzgebiet zwischen dem Schattenwald und Silberschleier.“
    „Sie benutzen den alten Eiersaal in Sankt Äggie“, ergänzte Nebel. „So etwas habe ich schon befürchtet. Ich habe aber noch etwas anderes gehört: Einer von Nyras höchsten Offizieren soll geflohen sein. Sie lässt ihn verfolgen. Du musst dich in Acht nehmen, Coryn.“
    „Mach ich.“
    Ob der Abtrünnige vielleicht Uglamore war? Coryn hatte schon länger das Gefühl gehabt, dass Uglamore mit Nyra und dem Weltbild der Reinen nicht mehr einverstanden war. Uglamore war es auch gewesen, der versucht hatte, Philipp bei Coryns Großer Feier zu retten. Aber Uglamore war schon alt – wo sollte er hin, wenn er die Reinen verließ? Na, wohin schon? In die Hinterlande natürlich!
    Beim ersten Dunkel brach Coryn auf. Das Adlerpaar und die beiden Flugschlangen begleiteten ihn noch bis zur Grenze
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