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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Autoren: Mark Charan Newton
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ihn.
    Er dachte an seine Frau.
    An den Betrug.
    Er schoss Tryst einen Bolzen durchs Auge.
    Lud nach.
    Nahm sein Messer, schnitt ihm die Kehle durch und sah die Übrigen erbittert an. »Wir dürfen keine Gefangenen machen. Denkt daran: keine Zeugen.«
    »Genau«, knurrte Fulcrom und wandte sich ab.
    Zuerst rochen sie den Gestank. Die Flüchtlinge saßen hier unten erst seit Kurzem gefangen, vielleicht seit ein, zwei Tagen, aber ohne Essen und Wasser. Hunderte Gesichter – die erste Welle derer, die vergiftet werden sollten – wandten sich ohne Zeichen von Erwartung oder Angst tief resigniert den Ermittlern zu. Männer und Frauen mit Kindern auf dem Arm lehnten zusammengesunken an den Wänden oder lagen auf dem kalten Steinboden des breiten Tunnels. Um sich zu wärmen, hatten sie Lumpen und Decken mitgenommen, da sie ja nicht ahnten, dass sie hier umgebracht werden sollten.
    Jeryd ging um sie herum, klärte sie über ihre Lage auf und berichtete ihnen von der Gefahr. Ob sie ihn verstanden? Ob sie ihm glaubten? Ob sie die Stadt verlassen und wieder hinaus ins Eis wollten?
    Zwischen ihnen lagen die Toten und ein, zwei Sterbende. Leichen, die blau angelaufen oder wie Früchte verschrumpelt waren … Einer seiner Männer hinter ihm würgte heftig, und Jeryd konnte es ihm nicht verdenken.
    Einige verlangten nach Essen und Wasser, doch er konnte ihnen nur die Freiheit bieten, und diese Vorstellung schien sie zu verwirren.
    »Wir müssen euch hier rausbringen«, rief er mehrfach. Dann sagte er zu Fulcrom: »Lasst uns das andere Ende des Tunnels öffnen.«
    Jeryd postierte zwei junge Ermittler an der Tür, durch die sie gekommen waren. Die acht Übrigen drängten sich durch die Flüchtlingsmenge, um zu erforschen, was sie weiter vorn erwartete. Die Luft war drückend, ja beklemmend. Mitunter schrie eine Frau auf, oder ein Mann stöhnte.
    Endlich erreichten sie eine weitere behelfsmäßige Metalltür. Jeryd war klar, dass dahinter ein Posten stand. Also öffneten sie die Tür erst nur einen Spaltbreit und warfen sie dann auf. Der Bolzen aus Fulcroms Armbrust traf den Soldaten, der sich schon von seinem Stuhl erhob, und sie rollten die Leiche ins Dunkle.
    Je weiter sie kamen, desto kälter wurde es, und obwohl es dunkel blieb, spürte Jeryd, dass sie dem Ausgang nahe waren. Schließlich tasteten sie sich blind durch einen engen Gang vorwärts. Solange sie im Dunkeln waren, konnte sie immerhin auch niemand sehen.
    Dann kam sie endlich, die Freiheit.
    Erst blendendes Licht und kalte Luft, dann die Reste eines Flüchtlingslagers: eine ramponierte Zeltstadt mit glimmenden Feuern, schwarzen Baumsilhouetten am Horizont und über die Tundra heranheulendem Wind. Hinter ihnen ragte die äußere Mauer von Villjamur auf, die diese Unglücklichen monatelang hoffnungsfroh gemustert hatten.
    »Geht und holt sie nach draußen!«, befahl Jeryd einem seiner Männer. »Und zwingt sie notfalls, falls sie ihren Unterschlupf nicht verlassen wollen.«
    Sie brauchten eine Stunde, um alle ins Freie zu bekommen. Die Flüchtlinge kamen mit deutlichem Widerwillen nach draußen getrottet und starrten auf den Schnee, als hätten sie so etwas noch nie gesehen.
    Freudige Befreiungen sahen anders aus.
    Jeryd seinerseits fühlte sich niedergeschlagener und erschöpfter denn je.
    Als das letzte Kind ins Freie gestapft war, löste er seine anonyme Truppe auf. Die Medaillons, die seine Männer als Mitglieder der Inquisition auswiesen, würden genügen, um sie durch die bewachten Tore in die Stadt zurückkehren zu lassen.
    Fulcrom wandte sich an Jeryd. Elend zeigte sich auf beider Gesichter. Sie musterten einander, um die richtigen Worte zu finden.
    »Es fühlt sich weniger gut an, als es sollte.«
    »Stimmt«, pflichtete Jeryd ihm bei.
    »Womöglich sterben sie hier im Eis sogar rascher als drinnen.«
    Damit hatte Fulcrom recht. Die Winterstarre würde sie wahrscheinlich früher oder später umbringen. Jetzt waren sie einmal mehr nur Flüchtlinge vor Villjamurs Toren, und was konnten sie nun tun?
    »Wollt Ihr zurück nach Hause?«
    »Das sollte ich wohl.« Es schauderte Jeryd. »Immerhin besteht die Gefahr, dass Tryst einmal in seinem elenden Leben die Wahrheit gesagt hat.«
    »Ich begleite Euch. Vielleicht werde ich ja gebraucht.«
    Es war ein seltsames Gefühl, dass ein Kollege sich um seine Sicherheit sorgte.
    Beharrlich stapften sie die in sanftem Bogen ansteigende Pflasterstraße hoch und spürten ihre Oberschenkel schmerzen. Jeryd sann darüber nach, dass
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