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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende
Autoren: Johanna Marthens
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wäre gern selbst mitgekommen, um den zuzugswilligen Adligen zu begrüßen, aber da er nicht mehr Bürgermeister war und – was viel schwerer wog – von den Behörden gesucht wurde, fiel das flach. Dafür beauftragte er mich, dem Fürsten groß und breit zu erklären, wie wunderbar Mullendorf sei, und dass es sich auf jeden Fall lohne, hier Grundbesitz zu erwerben. Auf meine Frage, wieso ihm daran lag, dass der Mann sich hier ansiedelte, antwortete er ähnlich arrogant wie mein Ex-Freund. Ich schnaubte nur verächtlich und nahm mir vor, dem Adligen groß und breit von den Kuhexkrementen zu erzählen, in die man fast täglich auf der Mullendorfer Straße trat, oder vom Lärm der Mähdrescher und den langen Anfahrtswegen zum Shoppingcenter (35 Kilometer) und zum nächsten Schönheitschirurgen (118 Kilometer). Nicht zu vergessen die interessanten Gespräche der Mullendorfer darüber, wie lange Liesl braucht, bis sie beim Kürbisfest betrunken genug ist und das Oberteil aufknöpft, oder wie man besagter Kuhkacke am besten ausweicht, oder wer mehr trinken kann – Gerhard oder Gertrud.
    Ich fuhr schnell nach Hause und duschte ausgiebig, bevor ich in meinem Kleiderschrank danach Ausschau hielt, was ich anziehen könnte. Ein hübsches Kleid fiel in meine Hände, doch da ich nicht zu der Party ging, um mir einen Liebhaber anzulachen, sondern um einen verdächtigen Fremden auszuspionieren, hängte ich es wieder zurück. Stattdessen griff ich nach einer frischen Jeans und einem geblümten Top. Mein Haar bürstete ich und steckte es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Um nicht ganz als Mauerblümchen abqualifiziert zu werden, legte ich ganz dezent Make-up auf. Dann war ich fertig.
    Gegen neun kam ich bei den Geißenbergers an. Das Haus, oder sagen wir lieber, das Schloss war bereits brechend voll. Die Feier schien das Ereignis des Jahrhunderts in Mullendorf zu sein. Das hätte ich mir eigentlich denken können, denn seit meine Mutter bei meinem kurzen Boxenstopp zu Hause zu mir ins Zimmer gestürmt kam und ankündigte, daran teilnehmen zu wollen, wusste ich, dass es etwas Bedeutendes sein musste. Im großen Salon im Erdgeschoss saßen und standen unzählige Leute und unterhielten sich, aßen Kanapees und tranken Sekt oder Wein. Um den Flügel im sich anschließenden Musikzimmer hatte sich eine Traube Menschen gebildet und lauschte einem Pianisten, der einen Hit nach dem anderen spielte. Die Hälfte der Leute kannte ich, die waren aus Mullendorf, die andere Hälfte war mir fremd. Die Geißenbergers mussten auch halb Moosberg mit Einladungen bedacht haben. Aber welcher der Gäste nun der mysteriöse Adlige sein sollte, konnte ich auf die Schnelle nicht erkennen. Daher sah ich mich noch ein wenig weiter um. Es war ein schöner lauwarmer Abend, so dass sich auch im Garten eine Menge Leute tummelten. Auf der frisch gemähten Wiese neben dem Haus (einheitliche Höhe der Gräser 1,9 Zentimeter, darauf legte Pedros Familie wert) standen Holzbänke und Tische, auf denen Menschen saßen (ja, auch auf den Tischen). Eine Gruppe zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Neben einem Pavillon mit Bar und einem jungen, hübschen Barkeeper, der lässig die vielen Flaschen und den Cocktailshaker im Griff hatte, standen etwa zehn Leute um einen Mann, der mit lauter Stimme sprach. Was er dozierte, konnte ich jedoch auf die Entfernung nicht hören. Pedro war unter den Zuhörern –  und Isabelle, meine kleine Schwester. Als sie mich sah, verzog sich ihr Mund zu einer Grimasse, die mir deutlich sagte, dass sie sich nicht freute, mich zu sehen. Doch darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.
    »Hallo Schwesterherz«, begrüßte ich sie, als ich bei ihr angekommen war. »Was gibt es denn hier?«
    »Was willst du denn hier?«
    Ich war es gewohnt, dass sie mich kühl abservierte, sobald sie mich sah, daher ignorierte ich ihre Frage. »Wer ist der Typ?«, wollte ich stattdessen wissen und zeigte auf den Mann, der mir den Rücken zugewandt hatte und gerade lauthals verkündete, dass er sich darüber freue, dass es so viele verschiedene Arten und Rassen auf der Welt gäbe.
    »Er heißt Philipp von Bismarck. Er ist ein Fürst«, lautete ihre kurze Antwort, wobei ich genau hören konnte, wie sie es genoss, mir seinen noblen Status mitzuteilen. »Und er hat sich schon ausführlich mit mir unterhalten.« Jetzt wurde es noch deutlicher, wie stolz sie darauf war, dass sie dieselbe Luft atmen durfte wie er.
    »Wer will schon immer nur denselben Kuchen essen? Niemand!«,
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