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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende
Autoren: Johanna Marthens
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verkündete Philipp von Bismarck weise in die andere Richtung, wo er offenbar aufmerksame Zuhörer gefunden hatte. »Am Anfang schmeckt er noch, aber wenn man ihn täglich hat und nichts anderes angeboten bekommt, hängt er einem zum Halse raus, wenn ich das mal so formulieren darf.« Dem Nicken der Köpfe und dem Lächeln der Zuhörer nach zu urteilen, durfte er das. »Wir tragen auch nicht täglich dieselbe Kleidung. Mal davon abgesehen, dass es unhygienisch wäre.« Wieder Nicken und verständnisvolles Lächeln. »Daher begrüße ich jeden, der anders ist. Auch Vampire. Ich bin keiner, nur so nebenbei bemerkt, aber begrüße sie als unsere Schwestern und Brüder und freue mich, dass sie unter uns weilen.« Jetzt waren Nicken und Lächeln nicht mehr ganz so begeistert, aber die meisten hörten aufmerksam zu und schienen darüber nachzudenken, was er sagte. Mit einem Schlag war mir der Fürst sympathisch. Ein Adliger, der Vampire mochte? Dann durfte er gerne bleiben. »Meine besten Freunde sind Vampire.« Er zeigte auf einen Mann, der einsam auf einer der Bänke saß und die Gäste beobachtete. Er war groß und kräftig mit Händen, die mich an die Pranken von Pfarrer Bernhard erinnerten, wenn er in sein pelziges Alter Ego schlüpfte. Was mir nicht gefiel, war der Blick, mit dem der Mann die Anwesenden musterte. Als würde er abschätzen, wie viel Liter er ihnen entnehmen konnte, ohne dass er sich um die Entsorgung ihrer Leichen kümmern musste. Aber ich wollte keine Vorurteile gegen jemand hegen, der den Mut hatte, sich offen zu zeigen, obwohl gerade die AVEKs hier gewesen waren.
    Aufmerksam wandte ich mich wieder dem Redner zu. Doch als ich ihn ansah, gefror mir das Blut in den Adern. Er hatte sich inzwischen umgedreht, so dass ich direkt in sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht sehen konnte. Ich kannte ihn. Ich hatte ihn in meiner Vision gesehen. Darin hatte er mich nach dem Herzen Mullendorfs gefragt und durch die Luft gewirbelt. Er sah mir direkt in die Augen, als er weitersprach. »Hunderte Grabflüchter habe ich einst gejagt und ihnen den endgültigen Tod gebracht. Man nannte mich nur noch Tepes, der Pfähler. Doch dann habe ich erkannt, welches Potenzial in diesen Wesen schlummert. Was wir alles erreichen könnten, wenn wir Menschen mit ihnen zusammenarbeiten würden.« Er lächelte mich an und zeigte seine perfekten Zähne. »Und in Mullendorf werde ich die Kraft finden, diese Wesen zur Spitze zu führen. Es kann nicht sein, dass sie weiter unterdrückt und gejagt werden. Ich werde sie befreien. Mit eurer Hilfe.«
    Einige der Gäste jubelten, andere nickten. Viele jedoch hielten sich zurück und sahen sich unschlüssig an.
    »Warum gerade Mullendorf?«, fragte ich ihn. »Hier ist nichts, nur Felder, Wälder, Wiesen und ein paar Kühe.«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Pedro mich musterte und Isabelles wütende Grimasse.
    Der Fremde vertiefte sein Lächeln. »Oh, hier schlummert viel mehr, als offensichtlich ist, aber das müsstest du doch wissen, Moona.«
    Verdattert starrte ich ihn an. Wieso kannte mich der Mann? Woher wusste er meinen Namen? Hatte jemand mit ihm über mich gesprochen? Pedro? Ich sah meinen Ex an, doch als ich seinen überraschten Blick entdeckte, schloss ich ihn aus. Isabelle? Auch die nicht, ihren hasserfüllten Augen nach zu urteilen. Wer sonst?
    »Ich weiß gar nichts«, erwiderte ich leichthin und löste mich von meinem Platz, um mich aus dem Mittelpunkt des Interesses zu bringen. In der Menge entdeckte ich Pedros Vater, der im Hintergrund den Barkeeper zusammenstauchte. Er vielleicht? Pedros Mutter flirtete neben dem Pool ganz unverschämt mit Steffen Meyer, dem neuen Bürgermeister. Oder sie? Aber warum sollten die beiden mit dem Fremden über mich gesprochen haben? Sie hatten mich nie sonderlich gemocht, weil ich angeblich nicht gut genug für ihren Sohn war. Es war nicht einmal sicher, ob sie überhaupt von der Mullendorfer Kraft wussten, von der ich erst vor kurzem erfahren hatte und auf die der Fürst offensichtlich anspielte. Ich sah mich weiter in der Menge um und erblickte plötzlich einen anderen Mann, der mich intensiv betrachtete. Als ich ihn entdeckte, schlug er kurz die Augen nieder, doch dann traf sich sein Blick erneut mit dem meinen. Er nickte mir kaum merklich zu. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Er mochte Mitte Vierzig sein, hatte dichtes, dunkles Haar, das an den Schläfen bereits ergraute. Seine Nase war leicht gebogen, schmal und lang –  besonders sie
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