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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes
Autoren: Reginald Hill
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Romanschriftstellerin. Als er ihr sagte, dass er eines Tages ebenfalls gern Bücher schreiben würde, hat sie ihn nicht ausgelacht, sondern ernstlich erwidert: »Und das wirst du auch, Tom, sonst wärst du nicht der Sohn deines Vaters.«
    Sie erzählt ihm auch Geschichten. Gute Geschichten, fein strukturiert, doch fehlt es ihnen an jener Buntheit und Exaltation, die er schon jetzt an einer Erzählung so gern mag. Doch das spielt keine Rolle, denn wenn er sie seinen Brüdern und Schwestern wiedergibt, ist er durchaus in der Lage, selbst genug von diesen Elementen beizusteuern, damit sie Albträume bekommen.
    Er steht auf und fasst seine Tante an der Hand.
    »Geht es Vater wieder gut?«, fragt er.
    »Nein, Tom, auch wenn er jetzt an einem Ort ist, wo es allen gut geht«, sagt sie. »Er hat uns verlassen, Tom, er ist jetzt im Himmel. Du musst nun deine liebe Mama trösten.«
    Der kleine Junge runzelt die Stirn, sagt aber nichts mehr, als Tante Maria ihn ins Schlafzimmer führt.
    »O Tom, Tom«, schluchzt seine Mutter und umarmt ihn so heftig, dass er kaum noch Luft bekommt. Doch während sie seinen Kopf gegen ihre Brust presst, ist sein Blick auf die reglose Gestalt im Bett gerichtet.
    Seine Tante löst ihn von der schluchzenden Frau und sagt: »Jetzt verabschiede dich von deinem Vater, Tom. Wenn du ihn das nächste Mal siehst, dann in einer besseren Welt als dieser.«
    Der Junge geht an die Bettstatt. Er steht eine Weile davor, schaut mit ebenso unbewegtem Blick in die starren Augen. Dann beugt er sich vor, als wollte er dem Toten einen Kuss auf die Lippen drücken.
    Doch statt zu küssen, bläst er. Einmal, zweimal, dreimal, jedes Mal fester schickt er seinen warmen Lufthauch zum blassen Mund und den geweiteten Nasenflügeln.
    »Tom!«, ruft seine Tante. »Was machst du?«
    »Ich bring ihn zurück«, sagt der Junge, ohne aufzublicken.
    Wieder bläst er. Die Gewissheit, die bislang in seiner Miene lag, beginnt zu schwinden. Er ergreift die rechte Hand seines Vaters, drückt die Finger und sucht nach einem Gegendruck.
    Seine Tante stürzt zu ihm.
    »Tom, hör auf damit. Du regst deine Mama auf. Tom!«
    Sie packt ihn, er wehrt sich, bläst nicht mehr, sondern schreit, und sie muss ihn mit roher Gewalt von dem Leichnam wegziehen. Seine Mutter steht daneben, die Faust gegen den Mund gepresst, sprachlos vor Entsetzen in Anbetracht dieser unerwarteten Wendung.
    Und während er von seiner Tante aus dem Schlafzimmer und über den Treppenabsatz und die Stufen hinuntergezerrt wird, verklingen seine Schreie wie die Rufe einer Schleiereule über dem sich verdunkelnden Moor; Schreie, die noch lang in der Erinnerung nachhallen, obwohl sie dem Ohr längst verstummt sind.
    »Holt die Kuh … holt die Kuh … holt die Kuh …«

[home]
    2
    Der Dieb
    1. Brief, erhalten: Samstag, 15. Dez., per Post
    St. Godric’s College
Cambridge
    Freitag, 14. Dez.
Wohnung des Quästors
    Lieber Mr. Pascoe,
     
    Cambridge! St. Godric’s College! Wohnung des Quästors!
    Bin ich nicht grandios? Bin ich nicht die beste Werbung für das Innenministerium und die resozialisierende Kraft unseres britischen Strafrechtssystems?
    Aber wer bin ich, muss Ihnen durch den Kopf gehen. Oder hat Ihnen das Ihre sensible Intuition, für die Sie zu Recht berühmt sind, bereits zugeflüstert?
    Wie auch immer, ich möchte allen Spekulationen ein Ende setzen und Ihnen ersparen, dass Sie an das Ende dieses Briefes blättern müssen, der doch recht lang werden könnte.
    Geboren wurde ich in einem Dorf namens Hope, und ich mache mir gern einen kleinen Spaß daraus, dass, sollte ich zufällig im Lake Disappointment in Australien ertrinken, die Inschrift auf meinem Grabstein lauten würde:
    Hier liegt
Francis Xavier Roote
Geb. in
HOPE
Gest. in
DISAPPOINTMENT
    Genau, Mr. Pascoe, ich bin’s, und da ich mir ausmalen kann, wie Sie darauf reagieren, wenn Sie Post von jemandem erhalten, den Sie, wie man so schön sagt, für die besten Jahre seines Lebens eingebuchtet haben, lassen Sie mich eiligst versichern:
    Dies ist kein Drohbrief!
    Ganz im Gegenteil, dies ist ein
vertrauenschaffender Brief.
    Und keiner, von dem ich auch nur im Traum daran gedacht hätte, ihn zu schreiben, hätten die Ereignisse des vergangenen Jahres nicht deutlich gezeigt, wie sehr Sie dieses Vertrauens bedürfen. Was auch für mich gilt, insbesondere nachdem mein Leben eine solch unerwartete Wendung zum Besseren erfahren hat. Statt mich weiter in meinem kleinen, erbärmlichen Apartment abzuplagen,
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