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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes
Autoren: Reginald Hill
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ein Remis. Ich glaube, ich hätte ihn schlagen können, will es aber nicht beschwören. Außerdem erschien mir für den Anfang ein Remis als das Beste.
    Danach spielten wir jeden Tag. Anfangs hatte er immer Weiß, nach unserem dritten Remis aber drehte er das Brett um, und danach wechselten wir ständig ab. Das sechste Spiel gewann ich. Im Raum herrschte Grabesstille, nicht im Gedenken an dieses denkwürdige Ereignis, sondern mehr in Erwartung, nun gleich Zeuge einer Opferung zu werden. Als ich zu meiner Zelle zurückging, wandten die Männer, die in den vorangegangenen Wochen mir gegenüber immer freundlicher aufgetreten waren, sich von mir ab. Ich schenkte ihnen keine Beachtung. Für sie war Polchard der Rattenkönig, für mich war er der Großmeister. Es macht keinen Spaß, gegen jemanden zu spielen, der nicht gut genug ist, um einen zu schlagen, und noch weniger, der zwar gut genug, aber zu verängstigt dazu ist. Mein langfristiger Überlebensplan beruhte darauf, zwischen uns eine Art Gleichberechtigung herzustellen.
    Das hatte ich mir ausgemalt, wusste aber, dass ich mich täuschen konnte. In jener Nacht träumte ich, ich befinde mich in jener Szene in Bergmans
Das siebente Siegel
, in der der Ritter und der Tod miteinander Schach spielen. Schweißgebadet wachte ich auf und glaubte, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben.
    Am nächsten Tag aber wartete er bereits mit den aufgestellten Figuren, und ich wusste, ich war die Sache richtig angegangen.
    Nun musste ich nur noch einen Weg finden, ihn gewinnen zu lassen, ohne dass er es bemerkte.
    Aber nicht sofort, dachte ich. Das wäre zu offensichtlich. Schlimmer als ständig zu gewinnen wäre es gewesen, wenn er mich dabei ertappte, dass ich absichtlich verlor. Kurz darauf zog Polchard dreimal schneller als sonst, und als ich das Brett studierte, erkannte ich, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Seine einsamen Übungsstunden hatten ihn zu einem hervorragenden Defensivspieler werden lassen. Nun, das wird man unweigerlich, wenn man sich der Gambits zu erwehren hat, die man sich selbst ausdenkt. Doch der Hurensohn hatte sich alle Einzelheiten meiner Spielweise eingeprägt und ging plötzlich zum offenen Angriff über. Und ich geriet in Schwierigkeiten.
    Es wäre ein Leichtes gewesen, vor seiner Überrumpelung alles hinzuwerfen, doch das tat ich nicht. Ich wand und bog mich, versuchte mich zu entziehen und zu entschlüpfen, und als ich schließlich meinen König flachlegte, wussten wir beide, dass er fair und ehrlich gewonnen hatte.
    Er lächelte, als er die Figuren erneut aufstellte. Wie kräuselnde Wellen auf einem dunklen Teich.
    »Schach, Krieg, Job«, sagte er. »Alles das Gleiche. Bring sie dazu, das eine zu glauben, und dann machst du das andere.«
    Kein schlechter Schlachtplan, vermute ich, wenn man ein Berufsverbrecher ist.
    Danach machte ich mir keine Sorgen mehr wegen der Ergebnisse.
    Alle waren jetzt wieder meine Freunde, aber ich machte nicht viel Aufhebens darum. Ich wollte als Gleicher akzeptiert, nicht als Günstling beneidet werden. Ich wusste, solange ich meine Karten und meine Figuren richtig spielte, hatte ich einen Freifahrtschein in der Tasche, um so komfortabel wie möglich meine Zeit hinter mich zu bringen.
    Doch so komfortabel man sich in einem lärmenden, stinkenden, überfüllten, vor Eisengittern starrenden Gefängnis aus dem neunzehnten Jahrhundert auch einrichtet, es bleibt, verdammt noch mal, ein Gefängnis.
    Es war an der Zeit, die Energien auf mein nächstes Projekt zu konzentrieren: dort rauszukommen.
    Sie sehen, ich hatte keine Zeit für den Luxus, mich mit Racheplänen zu beschäftigen! Ich hatte einen heiklen Drahtseilakt zu vollführen, musste Polchards Freund bleiben und gleichzeitig mir den Ruf eines reformierten Insassen erwerben, damit ich in den freundlichen offenen Strafvollzug verlegt wurde. Trotz des gegenteiligen Anscheins befleißigt sich die Staatsgewalt des rührenden Glaubens, dass Bildung und Tugend miteinander korrelieren. Ich schrieb mich daher an einer Fernuniversität ein und entschied mich für ein starkes soziologisches Element, um die Staatsgewalt mit meinem wiedererwachten Sinn für staatsbürgerliche Verantwortung zu beeindrucken. Außerdem ist das Zeug denkbar einfach. Jeder, der nur halbwegs bei Verstand ist, bekommt in zehn Minuten mit, welche Knöpfe zu drücken sind, damit die Tutoren über deine Essays zu gurren beginnen. Man verrühre einige sentimentale linke Meinungen zu einem weichen
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