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Die Lange Erde: Roman (German Edition)

Die Lange Erde: Roman (German Edition)

Titel: Die Lange Erde: Roman (German Edition)
Autoren: Terry Pratchett , Stephen Baxter
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Ausdruck für die Bedeutung dieses Ortes sein. Aber …«
    »Sprich weiter. Du willst mir noch etwas sagen, oder?«
    »Hast du hier schon mal einen Blinden gesehen, Joshua?«
    »Einen Blinden?«
    »Ja. Hier gibt es Leute mit Brillen, alte Menschen mit Lesebrillen. Aber niemanden, der blind ist. Ich habe früher einmal einen Blick in die Register im Rathaus geworfen. Dort findet man Aufzeichnungen über Leute, denen ein Zeh oder ein Finger fehlt, und man kann auch nachlesen, dass es daher kam, weil jemand unachtsam mit einer Axt umgegangen ist. Es sieht aber ganz so aus, als würden Leute mit echten Behinderungen erst gar nicht nach Happy Landings gebracht.«
    Er dachte darüber nach. »Aber auch hier ist niemand perfekt. Ich habe schon gesehen, dass die Leute sich in den Kneipen betrinken, beispielsweise.«
    »Ja, schon. Feiern können sie hier zweifellos. Interessant ist jedoch, dass jeder Einzelne von ihnen weiß, wann er genug gefeiert hat, und dieses Talent ist sehr selten gesät, das kannst du mir glauben. Außerdem gibt es hier keine Polizei oder etwas Ähnliches, ist dir das auch aufgefallen? Den Aufzeichnungen im Rathaus zufolge hat es hier noch keinen sexuellen Übergriff auf eine Frau, einen Mann oder ein Kind gegeben. Noch nie. Es gab auch noch keinen Streit wegen Landbesitz, der nicht in aller Ruhe und in gegenseitigem Einvernehmen beigelegt worden wäre. Hast du dir mal die Kinder angesehen? Alle Erwachsenen verhalten sich so, als wären sämtliche Kinder ihre eigenen, und alle Kinder, als wären alle Erwachsenen ihre Eltern. Alles hier ist so anständig, vernünftig und liebenswert, dass man laut schreien möchte – und sich dann für sein Schreien schämen.« Sally streichelte ein Trolljunges, dessen Schnurren jede Katze vor Neid hätte erblassen lassen: Zufriedenheit in ihrer reinsten Form.
    Bei diesem Anblick platzte Joshua heraus: »Es liegt an den Trollen! Es muss einfach so sein! Wir haben schon einmal darüber geredet. Menschen und Trolle, die friedlich miteinander leben. Das gibt es nur hier, jedenfalls kennen wir keinen anderen Ort. Deshalb geht es hier zu wie in keiner anderen menschlichen Siedlung.«
    Sally sah ihn kritisch an. »Also, wir wissen ja, dass Gedanken und Befindlichkeiten einander beeinflussen, oder? Das haben wir bereits gelernt. Gibt es zu viele Menschen, hauen die Trolle ab. Bleibt es bei genau der richtigen Anzahl von Menschen, bleiben die Trolle da. Was die Menschen angeht, kann es vielleicht gar nicht genug Trolle geben. Happy Landings ist wie ein wohliges, warmes Bad in behaglichen, glücklichen Gefühlen.«
    »Aber es gibt keine Körperbehinderten. Niemanden, der so durchgedreht wäre, um ein schweres Verbrechen zu begehen. Niemanden, der hier nicht reinpasst.«
    »Vielleicht werden sie nicht zugelassen, vielleicht geschieht das nicht einmal bewusst.« Sie musterte ihn. »Sie werden ausgesiebt. Ein ziemlich düsterer Gedanke, finde ich.«
    Joshua fand das auch. »Aber wie? Hier steht niemand mit Keulen bewaffnet herum, der die Unwürdigen abwehrt.«
    »Das nicht.« Sally lehnte sich zurück und schloss nachdenklich die Augen. »Ich glaube nicht, dass es darum geht, Menschen bewusst auszuschließen, jedenfalls nicht vonseiten der hiesigen Bewohner. Aber wie geschieht es sonst? Ich bin noch auf keinen Hinweis gestoßen, dass es so etwas wie ein Konzept für Happy Landings gibt. Jemanden, der den Ort entworfen hat oder ihn kontrolliert. Könnte es sein, dass Happy Landings irgendwie selbst entscheidet, wer hierherkommt und wer nicht? Aber wie soll das funktionieren?«
    »Und zu welchem Zweck?«
    »Man kann nur von einem Zweck reden, wenn ein Verstand dahintersteckt, Joshua.«
    »Hinter der Evolution steckt auch kein Verstand«, erwiderte Joshua, der sich an Schwester Georginas anregende Hausaufgabenbetreuung im Heim erinnerte. »Weder Zweck noch Absicht noch Ziel. Trotzdem handelt es sich um einen Prozess, der Lebewesen entstehen lässt.«
    »Also ist Happy Landings vielleicht eine Analogie zu einem evolutionären Prozess?«
    Er sah sie aufmerksam an. »Das müsstest du besser wissen. Du bist doch schon oft hier gewesen …«
    »Schon als Kind, mit meinen Eltern. Aber seit ich euch beiden begegnet bin, sind die Fragen, die ich mir vermutlich schon immer gestellt habe, deutlicher geworden. Ich sollte wohl ein Armband mit der Aufschrift ›Was würde Lobsang davon halten?‹ tragen.«
    Joshua musste laut lachen.
    »Dieser Ort ist mir immer wie der Garten Eden vorgekommen –
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