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Die Kreatur

Die Kreatur

Titel: Die Kreatur
Autoren: Dean Koontz
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als Detective und auch keinen doppelseitig Gelähmten und keinen Zwangsneurotiker, und er soll auch kein Meisterkoch sein …«
    Deucalion nahm sich einen anderen Bücherstapel vor als den, in dem Jelly gerade wühlte, als könnte die Illustration eines Einbands oder ein hochtrabender Titel seinen verschwommenen Instinkten scharf umrissene Gestalt verleihen und ihnen einen klaren Sinn geben.
    »Ich hab nichts gegen Indianer, doppelseitig Gelähmte, Zwangsneurotiker oder Küchenchefs«, sagte Jelly, »aber ich will einen Kerl, der noch nie was von Freud gehört hat, sich keinem Sensibilitätstraining unterzogen hat und dir in die Fresse haut, wenn du ihn schief ansiehst. Ist das denn zu viel verlangt? «
    Es war eine rein rhetorische Frage. Der Dicke wartete nicht mal eine Antwort ab.
    »Gib mir einen Helden, der nicht zu viel denkt«, fuhr Jelly fort, »der sich aus vielen Dingen eine ganze Menge macht, der aber weiß, dass er sowieso schon tot ist, und sich einen Dreck darum schert. Der Tod klopft an, und unser Typ reißt die Tür auf und sagt: ›Was hat dich so lange aufgehalten?‹«
    Vielleicht hatte ihm etwas von dem, was Jelly gesagt hatte, eine Anregung gegeben, aber vielleicht waren es auch die Einbände der Taschenbücher mit ihren aufdringlichen, grellen und chaotischen Abbildungen gewesen – jedenfalls verstand Deucalion plötzlich, was ihm sein Instinkt schon seit einer Weile zu sagen versuchte. Das Ende war gekommen.
    Es war noch kein halber Tag vergangen, seit sich Deucalion und die beiden Detectives in Carson O’Connors Haus darauf geeinigt hatten, sich zusammenzutun, um Victor Helios Widerstand zu leisten und ihn endgültig zu vernichten. Sie hatten
begriffen, dass dieses Unternehmen Geduld, Entschlossenheit, Gerissenheit und Mut erfordern würde – und dass es auch viel Zeit in Anspruch nehmen könnte.
    Jetzt wusste Deucalion, aber nicht aufgrund von deduktiven Schlussfolgerungen, sondern rein intuitiv, dass sie überhaupt keine Zeit mehr hatten.
    Detective Harker, ein Angehöriger von Victors Neuer Rasse, war schlagartig mordwütigem Wahnsinn verfallen. Es gab Grund zu der Annahme, dass andere seinesgleichen ebenfalls verzweifelt und psychisch instabil waren.
    Außerdem war bei Harkers Biologie etwas Grundlegendes schief gegangen. Nicht Schrotflinten hatten ihn umgenietet, sondern etwas, was in seinem Innern entstanden war, eine seltsame zwergenhafte Kreatur, hatte sich gewaltsam aus ihm befreit und dabei seinen Körper zerstört.
    Diese Fakten allein waren noch kein ausreichender Beweis, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass Victors Imperium der Seelenlosen am Rande eines brutalen Zusammenbruchs stehen könnte. Aber Deucalion wusste, dass es so war. Er wusste es ganz einfach.
    »Und«, sagte Jelly Biggs, der immer noch in den Taschenbüchern wühlte, »gebt mir einen Schurken, den ich nicht bemitleiden muss.«
    Deucalion besaß keine medialen Fähigkeiten. Manchmal jedoch stiegen tiefschürfende Erkenntnisse und Einsichten in ihm auf, die er als Wahrheiten erkannte, und er zweifelte nicht an ihnen und stellte auch ihren Ursprung nicht in Frage. Er wusste ganz einfach, woran er war.
    »Mir ist vollkommen egal, ob er Leute tötet und sie auffrisst, weil er eine schreckliche Kindheit hatte«, schimpfte Jelly. »Wenn er brave Leute umbringt, will ich, dass brave Leute sich zusammentun und die Scheiße aus ihm rausprügeln. Ich will nicht, dass es ihr oberstes Anliegen ist, ihm eine Therapie aufzubrummen. «

    Deucalion wandte sich von den Büchern ab. Er fürchtete nichts, was ihm zustoßen könnte. Und doch beschlich ihn übermächtiges Grauen, wenn er an das Schicksal anderer dachte und daran, was aus dieser Stadt werden könnte.
    Victors Attacke gegen die Natur und die Menschheit hatte sich zu einem gewaltigen Unwetter hochgeschaukelt. Und jetzt würde es über sie hereinbrechen.

7
    Die Ablaufrinnen des Seziertischs aus rostfreiem Stahl waren noch nicht nass, und die schimmernden weißen Keramikfliesen auf dem Fußboden von Autopsieraum Nummer zwei waren noch fleckenlos rein.
    Der alte Mann mit der Gumbovergiftung lag in Erwartung der Skalpelle des Gerichtsmediziners nackt da. Er wirkte überrascht.
    Jack Rogers und sein junger Assistent Luke trugen Kittel und Handschuhe und waren zum Schneiden bereit.
    Michael sagte: »Ist jeder ältere nackte Tote faszinierend, oder kommen sie einem nach einer Weile alle gleich vor?«
    »Tatsächlich«, sagte der Gerichtsmediziner, »besitzt jeder
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