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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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das Pfeifen des Windes und Grillengezirpe herein. Dann las Danielles Vater eine viel zu lange Rede vor, wobei sich hinterher herausstellte, dass mittendrin eine Seite gefehlt hatte, so dass der Rest kaum einen Sinn ergab. Als er schließlich auf Braut und Bräutigam anstieß, war ich einigermaßen beruhigt, denn alles, was danach kam, konnte nur eine Verbesserung darstellen. Danielle schnappte sich das Mikrofon und verkündete der Menge, dass ihnen nun ein besonderer Leckerbissen bevorstehe, weil nämlich eine ihrer ältesten Freundinnen Musikerin sei und speziell für diesen Anlass eine Band zusammengestellt habe, mit der sie den ganzen Sommer über geprobt und jede Menge Hindernisse überwunden habe. Deswegen sollten doch alle mal kräftig klatschen, um Bonnie Graham und ihre Band willkommen zu heißen.
    Ein wenig verlegen schlichen wir auf die Bühne. Nur Guy sah aus, als wäre er ganz in seinem Element. Während er hinter seinem Schlagzeug Stellung bezog, warf ich zufällig einen Blick auf ihn und begriff instinktiv, dass er in seiner Fantasie zu John Bonham um 1972 mutiert war und gleich für Led Zeppelin die Trommelstöcke schwingen würde. Ich hoffte nur, dass er nicht vorhatte, auch wie John Bonham zu klingen. Ich selbst wünschte mir gerade eine Sonnenbrille wie Roy Orbison, aber dafür war es nun zu spät. Ich trat ans Keyboard, klopfte kurz gegen das Mikrofon und murmelte ein paar Glückwünsche an Danielle und … Es entstand eine kleine Pause, weil ich mich plötzlich nicht mehr an Jeds Namen erinnern
konnte. Zum Glück fiel er mir gleich wieder ein, doch ehe ich ihn aussprechen konnte, verursachte eine der Gitarren eine laute, kreischende Rückkopplung, so dass die Leute im Saal sich erschrocken die Ohren zuhielten. Neal zog zerknirscht den Kopf ein.
    »Ein bisschen Rock ’n’ Roll«, murmelte er.
    »Entschuldigung«, wandte ich mich erneut ans Publikum. »Dieser Song ist für Danielle und Jed.«
    Wir begannen mit »It Had to Be You«. Es war, als hätte ich vorübergehend meinen Körper verlassen: Wie aus weiter Ferne sah ich Danielle und Jed zögernd auf die Tanzfläche treten, die Arme umeinanderlegen und die ersten Tanzschritte wagen. Ich hörte mich selbst spielen. Meine Stimme klang zart, aber das war in Ordnung, denn es handelte sich ja auch um ein zartes Lied. Joakim kam natürlich bestens zurecht, und Guy spielte auch ganz ordentlich. Neal war nicht gerade in Höchstform, aber am schlimmsten spielte Amos, der ständig danebengriff. Ich sah zu ihm hinüber. Sein Blick wirkte glasig, als würde er gleich umkippen. Zum Glück war der Song schon wieder zu Ende. Nachdem das Publikum uns mit einem recht passablen Applaus belohnt hatte, trat Joakim ans Mikrofon: »Der nächste Song ist für eine Hochzeit nicht unbedingt passend«, begann er. »Genau genommen ist er völlig unpassend, aber wir mögen ihn trotzdem.«
    Während ich die erste Zeile sang  – die im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass der Mann, nachdem er so offensichtlich gehen möchte, das doch am besten sofort tun sollte  –, sah ich eine La-Ola-Welle der Fassungslosigkeit durch die Menge schwappen. Auf manchen Gesichtern entdeckte ich tiefe Betroffenheit oder sogar Entsetzen, während andere nur grinsten. Nun ließ es sich nicht mehr ändern. Ich konnte nicht einfach aufhören und etwas anderes probieren. So konzentrierte ich mich einfach aufs Singen, und während ich das tat, passierte etwas völlig Unerwartetes. Mit einem Mal spürte ich den
Song auf eine Weise, wie ich ihn in all den Wochen des Probens nicht gespürt hatte: All die schmerzhaften Worte über Abschiede und die Notwendigkeit loszulassen und zu akzeptieren, dass zwischen zwei Menschen, die sich einmal sehr nahegestanden hatten, eine Kluft entstehen konnte, trafen mich auf einmal mitten ins Herz. Zwar sang ich das Lied im Gegensatz zu Patsy Cline nicht mit einem Schluchzen in der Stimme, hatte aber tatsächlich das Gefühl, vor Kummer kaum Luft zu bekommen. Ich machte einen traurigen Song noch trauriger. Als ich fertig war, gab es nur ganz verhaltenen Applaus. Die meisten Leute reagierten eher mit verblüffter Stille  – ob aus Ergriffenheit oder Bestürzung oder weil sie peinlich berührt waren, fragte ich mich lieber erst gar nicht.
    Ich stand auf und hängte mir mein Banjo um, und Joakim griff nach seiner Geige. Ich erklärte der Menge, dass es nun an der Zeit sei, mit dem Tanzen zu beginnen. Wir stimmten »Nashville Blues« an, den ersten Song, den wir
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