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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Worte aus ihm hervorquellen. »Wir stehen hier herum und unterhalten uns ganz ruhig«, fuhr sie schließlich fort. »Dabei liegt dort die ganze Zeit… das .« Wieder deutete sie zu der Leiche hinüber, ohne hinzusehen.
    »Ich weiß, ich weiß.« Meine Worte schienen den ganzen Raum auszufüllen. Erst jetzt begriff ich, dass ich viel zu laut sprach, und dämpfte meine Stimme zu einem Flüstern. »Ich weiß.«
    »Was weißt du? Was ?« Sie legte eine Hand auf meinen Arm und bohrte mir dabei schmerzhaft die Finger ins Fleisch.
    »Hör auf!«
    »Warum zeigst du mir das? Was willst du von mir?«
    »Ich wusste mir einfach …«
    »Sag jetzt nicht noch einmal, dass du dir keinen anderen Rat gewusst hast.«
    »Tut mir leid.«
    »Er ist tot. Tot. Und ihr beide … Lieber Himmel, Bonnie, was hast du bloß getan?«
    »In meinem Kopf dreht sich alles.«
    »Was macht dich so sicher, dass ich nicht einfach die Polizei rufen werde?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Plötzlich empfand ich eine derart bleierne Müdigkeit, dass ich mich unter der riesigen Last am liebsten hingelegt und die Augen geschlossen hätte. »Ich könnte das durchaus verstehen«, antwortete ich, »und ich weiß, du hättest recht damit. Wahrscheinlich ist es das einzig Vernünftige.«
    Endlich sah Sonia mich richtig an. Sie musterte mich mit einem eindringlichen, fast zornigen Blick. Ihre Wangen waren
gerötet, und ihre Augen leuchteten auf eine Weise, die mir beinahe irreal erschien.
    »Ich muss nachdenken«, verkündete sie.
    »Ich hätte dich nicht anrufen sollen. Das war ein Fehler. Alles war ein Fehler. O mein Gott, was für eine Katastrophe! Wie konnte es nur so weit kommen?«
    »Sei still. Halt einfach den Mund.«
    Plötzlich trugen mich meine Füße nicht mehr. Ich setzte mich so auf den Boden, dass ich der Leiche den Rücken zuwandte, schlang die Arme um die Beine und zog sie ganz eng an den Körper heran. Dann ließ ich den Kopf auf die Knie sinken und machte mich so klein wie möglich. Derart zusammengerollt, konnte ich meinen eigenen Herzschlag hören. Um mich herum schien der ganze Raum zu pulsieren. Als ich nach einer Weile den Kopf wieder hob, hatte ich das Gefühl, als wäre er zu schwer für meinen Hals. Sonia ging zum Fenster hinüber und trat neben den schmalen Streifen dämmrigen Lichts, der zwischen den Vorhängen hereinfiel. Mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen starrte sie auf die triste, stille kleine Straße hinaus, als wäre sie tief in Gedanken versunken. Ich sah, wie sich ihre Brust mit jedem Atemzug hob und senkte. Schließlich drehte sie sich wieder um und starrte auf die Leiche. Irgendetwas an Sonias Erscheinungsbild hatte sich verändert: Sie stand jetzt aufrechter, und als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme klarer. Es war, als hätte sich ein Nebel gelichtet.
    »Also gut«, verkündete sie mit der Entschlossenheit eines Menschen, der gerade eine schwere Entscheidung getroffen hat. »Du hast mich um Hilfe gebeten.«
    »Ja«, flüsterte ich.
    »Und du willst wirklich nicht die Polizei rufen?«
    »Ich kann nicht.«
    »Du hast gesagt, du vertraust mir. Das ist ein guter Ausgangspunkt. Vertrauen.« Sie sprach sehr langsam und mit
übertrieben deutlicher Betonung, als hätte sie ein Kleinkind vor sich oder einen Ausländer, der nur rudimentäre Kenntnisse in der Landessprache besaß. Trotzdem war mir klar, dass sie in Wirklichkeit mit sich selbst redete, um auf diese Weise zu versuchen, das Chaos in ihrem Kopf zu entwirren. »Ich vertraue dir ebenfalls«, fuhrt sie fort, »du bist meine Freundin. Ich werde dich nicht fragen, was hier passiert ist, auch wenn die blutigen Tatsachen im Grunde für sich sprechen. Wenn du mir etwas darüber sagen willst, spar dir das für später auf.«
    Obwohl ich nur wortlos nickte, wusste ich schon jetzt, dass ich nie den Wunsch verspüren würde, jemandem davon zu erzählen. Niemals.
    »Ich habe das schreckliche Gefühl, dass es mir leidtun wird, aber ich werde nicht zur Polizei gehen. So viel kann ich schon mal sagen.«
    »Danke.«
    »Ich werde nichts tun, was du nicht möchtest. Allerdings verstehe ich nach wie vor nicht, was du eigentlich von mir erwartest. Bonnie?«
    »Es ist … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.«
    »Du hast mich doch nicht nur herkommen lassen, damit ich dich fest in den Arm nehme, oder?«
    »Nein.«
    »Warum bist du nicht einfach abgehauen?«
    »Ich dachte…« Leider konnte ich mich nicht so recht entsinnen, was ich gedacht hatte.
    »Bonnie!«
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